Der Henker von Lemgo
Obrigkeit und der Bürgerschaft strebte der Rat
nicht mehr in erster Linie nach politischer Selbstbestimmung, sondern versuchte
als zunehmend autoritär auftretende Obrigkeit im Bündnis mit dem Landesherrn
die unzufriedenen Bürger im Zaum zu halten. Dies rief unweigerlich den
Widerstand der Zünfte und der Meinheit hervor, die ihren Einfluss auf die
städtische Politik schwinden sahen. Gleichfalls war es den bessergestellten
Bürgern möglich, sich bei ungerechter Behandlung vom Rat an die lippische
Landesherrschaft zu wenden oder zur besseren rechtlichen Absicherung
Rechtsgutachten auswärtiger Juristenfakultäten einzuholen. Eine rein städtische
Politik ohne den Grafen schien jedoch nicht möglich. Da der Landesherr die
Autorität des Rates eher stärkte als eindämmte, sah sich die Bürgerschaft
zunehmend einer doppelten Obrigkeit gegenüber, zumal sich der Landesherr die
endgültige Entscheidung bei Streitigkeiten in Bezug auf die Ratswahl
vorbehielt. Damit war den Ratsmitgliedern die Möglichkeit genommen, einen
unliebsamen Bürgermeister abzulehnen, solange er das Wohlwollen des Grafen
genoss.
Aufgrund dieser
Geschehnisse gelangte eine der beherrschenden und zugleich umstrittensten
Persönlichkeiten an die Macht: der langjährige Bürgermeister Dr. Heinrich
Kerckmann. Bis ins hohe Alter hinein war er ein strenger Jurist und
unbarmherziger Hexenverfolger, dessen harte Haltung sich nicht nur in der Zahl
der Prozesse widerspiegelte, sondern auch darin, dass sich viele seiner nahen
Verwandten unter den Angeklagten befanden. Zu den bekanntesten Persönlichkeiten
gehörten sein Schwager, der Kaufmann Johann Rottmann, der Pastor Andreas Koch
und dessen Schwager, der Kantor Bernhard Grabbe. Als Experte in Hexensachen,
der insbesondere die Hinrichtungen perfektionierte, war Kerckmann gemeinsam mit
seinem Studienfreund und langjährigen Mitarbeiter, dem Stadtsekretär Johannes
Berner, auch an der zweiten großen Lemgoer Prozesswelle (1653–1656) beteiligt.
Trotz heftigstem Widerstand aus den Reihen der Bürger- und konkurrierenden
Führungsfamilien behielt er das Zepter bis zum Schluss in der Hand. Noch vor
seinem Tod gelang es Kerckmann, seinem Günstling und Nachfolger Hermann
Cothmann den Weg an die Macht zu ebnen. Indem er Kerckmanns furchtbares Erbe
fortsetzte, blieb Cothmann im Gedächtnis der Stadt Lemgo haften, in deren
Geschichte er als der Hexenbürgermeister einging.
Dank
Für die
freundlicherweise zur Verfügung gestellten Unterlagen und die hilfreiche
Unterstützung danke ich dem Stadtarchiv Lemgo, insbesondere der Archivleiterin
und Autorin Dr. Gisela Wilbertz, deren Biographien der Maria Rampendahl,
des Scharfrichters David Clauss d. Ä. und des evangelischen Pastors von St. Nikolai
Andreas Koch, in die vorliegende Geschichte eingeflossen sind.
Gleichfalls bedanke
ich mich bei Herrn Jürgen Scheffler, Herrn Nicolas Rügge, Herrn Heinrich Stiewe
und Frau Gabriele Urbahn, deren Aufzeichnungen von mir ebenfalls für diesen
Roman verwendet wurden.
Mein besonderer Dank
gilt Herrn Christoph Laue vom Kreis Herford für die Übersetzung des Urteils des
Schulmeisters Hermann Beschoren sowie Frau Kochsiek-Jakobfeuerborn, die mich
außerhalb der öffentlichen Stadtführungen zu den Originalschauplätzen dieser
Geschichte führte. Abschließend sei mein besonderer Dank ausgesprochen dem
Verlag und der engagierten Lektorin, Susanne Bartel, für die gute
Zusammenarbeit und Begleitung meiner Geschichte zu einem guten Buch.
Carlo Feber
DIE LEINENWEISSE BRAUT
Historischer Kriminalroman
ISBN 978-3-86358-069-8
Leseprobe zu Carlo Feber,
DIE LEINENWEISSE BRAUT
:
1.
Der
Peitschenschlag hallte in der Durchfahrt des Alten Tors zu Osnabrück wider.
»Aus dem Weg,
Bürschlein.«
Ertwin Ertmann
sprang vor dem Fuhrwerk beiseite. Halb auf dem Bock stehend, drosch der
Kutscher auf das Pferd ein, der Kaufherr daneben hielt seine pelzbesetzte Mütze
fest. Ertwin duckte sich, die am Längsbrett angebundenen Kupferkessel
schwankten an seiner Nase vorbei. Der Dreck spritzte. Mit besudelten Beinlingen
stand er knöchelhoch im stinkenden Unrat, von dem die Fliegen aufstiegen.
Ertwin ballte die Faust und hieb auf ein großes Kupferbecken ein, das am
Rückenbrett des Wagens baumelte. Der Torbogen vor der Brücke dämpfte den Ton.
Nur die Delle im Becken freute ihn.
Der Kaufmann
beugte sich um den Kutschbock herum, hielt mit der Hand seine Mütze am Pelzrand
fest. »Lass die Finger von meinen Kesseln.«
»Möge dir das
Weitere Kostenlose Bücher