Der Henker von Lemgo
Rad
vorm Abend brechen.«
»Lehrt man dich so
sittsam fluchen, Studiosus? An den Doctores hast du keine guten Meister.«
»Höllenhundsfott!«
Die Peitsche des Kutschers knallte über dem Kupfer.
Der Kaufmann
drehte sich weg und winkte mit dem Handschuh. »Nimm dir besser meinen Kutscher
als Lehrherrn, dann …«
Der Wagen ruckte
über einen Stein, die Kessel schlugen laut ans Holz. Das Pferd scheute, die
Mütze mit dem Pelzrand flog vom Kopf des Kaufmanns. Es waren nur drei schnelle
Schritte in der Spur, Ertwin duckte sich am Wagen und unter dem Geschirr
vorbei. Er raffte die Mütze vor den wild tretenden Hufen aus dem Dreck auf der
Neuen Brücke. Wenn der Kaufmann sie nicht auslöste, dann würde er sie über die
Brüstung in den neuen Graben werfen. »Was lehrt Euch dies …«
Doch der Kaufmann
krallte sich ans Kutschbrett. Das Pferd bäumte sich im Geschirr auf, der
Kutscher hatte alle Mühe, es zu zügeln. Der Wagen rollte nur ein wenig weiter,
stellte sich quer, genau vorm achtspeichigen Wappen des Bischofs im Mittelstein
der Brücke. Zwei Mägde mit Butterfässern dahinter schrien auf. Wieder stieg das
Pferd auf.
»Willst du wohl
endlich anziehen, du verdammtes Ross!« Der Kutscher zerrte an den Lederriemen.
Der Wagen
schwankte, der Kaufmann stemmte sich auf dem Bock mit dem ganzen Leib gegen die
rutschenden Ballen und Kessel. Ertwin wich vor den Hufen aus, der Gaul schlug
aus, als kämpfte er gegen einen anderen.
»Wofür zahl ich
dich, Kutscher?«, schrie der Kaufmann.
»Weiß der Teufel,
woher die Bremsen kommen, die ihn beißen.« Der Kutscher sprang vom Bock, griff
nach dem Bügel an der Flanke.
Auf der anderen
Seite der Brücke hielt ein Ochsenkarren auf der Großen Straße an, die Mägde
liefen weiter, die Bettler vor dem Augustinerkloster reckten die Hälse.
Das Pferd schäumte
vorm Maul, trat an, mit einem Ruck riss es den Wagen fort, der Kutscher verfing
sich, halb im Geschirr hängend, hinkte er mit.
»Ruhig, ganz
ruhig.« Der Kaufmann ließ die Warenballen hinter seinem Rücken fahren, haschte
nach den Zügeln und zerrte.
Ertwin hörte ein
Knirschen, etwas unter dem Wagen brach, er kippte. Die Kessel schlugen an die
Seitenbretter, ein Seil riss, oben hüpften die Ballen, die ersten rutschten in
den Dreck der Großen Straße. Ein Mehlsack, aus einem anderen platzten Linsen
heraus, die bis vor Ertwins Füße spritzten. Fässer kamen auf der Lade zum
Vorschein.
Ein langer Ballen
Leinwand stürzte steif wie ein Balken von den Fässern, streifte das
Seitenbrett, die Leinwand verhakte sich zwischen zwei Kupferkesseln, hing fest,
wickelte sich ab. Tanzte vom Wagen, schnell wie eine Spindel am Rocken, spannte
sich aus wie ein Tafeltuch, immer schneller drehte sich der Ballen, rollte über
die Linsen, an Ertwins Füßen vorbei, zu den Bettlern hin.
Die Leinwand war
gesprenkelt von rotbraunen Flecken. Flecken, wie sie Ertwin im Hospital gesehen
hatte, noch einmal schlug sie sich um, dann wechselte die Stofffarbe. Wurde
grün und weiß, rostrot. Wurde zum Wams, zum Hemd. Ertwin sah einen nackten Fuß.
»Heilige Mutter im
Himmel.« Ein Bauer stieg von dem Ochsenkarren und bekreuzigte sich. Erst als
seine Finger auf seine Brust schlugen, spürte Ertwin, dass er es ihm gleichtat.
Im Straßendreck lag eine weiße Leinwand mit Blutzeichen, Ertwin schien es fast
wie ein Gesicht.
»Wie ein
Schweißtuch eines Märtyrers«, entfuhr es einer gaffenden Frau hinter ihm.
Dem Mann dort im
Straßendreck hatte man die Arme und Beine an den Leib geschnürt, er lag auf dem
Bauch, ein letzter Zipfel Tuch bedeckte seinen Kopf. Volk lief herbei.
»Decke ihn auf,
vielleicht lebt er noch«, sagte jemand mit rheinischem Tonfall.
Der breite
Kutscher trat vor, Ertwin begriff, dass der Kaufmann gesprochen hatte, der
hinter dem Bauern stand. Wortlos reichte Ertwin ihm die Pelzmütze.
Der Kaufmann nahm
sie an sich, sein Blick hing am grobschlächtigen Kutscher. »Worauf wartest du?«
Die behaarte Hand,
die eben noch das Pferd gebändigt hatte, schwebte zitternd über dem Tuchzipfel,
griff zu einem Stück des Randes, der noch ohne Flecken und weiß war. Dann zog
der Kutscher es vom Kopf des Mannes weg.
»Ein Brett, quer
über dem Nacken«, entfuhr es dem Kaufmann.
»Nein, seht doch
hin, es ist eine Flachshechel.« Der Bauer rieb sich die Stirn.
Ertwin starrte auf
das Brett, die Rückseite der Hechel. Zahllose, lange Nägel waren ins Genick
getrieben, ins zerrissene Fleisch, klebrig von schmierigem Blut. Ertwin
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