Der Henker von Lemgo
dass sie nur
meinen Körper vernichten, nicht aber meinen Geist. Dieser wird im Volk
weiterleben. Ich habe alles versucht, sogar an den Landesherrn habe ich
geschrieben und viel Zeit mit Seufzen und Klagen verbracht. Habe immer auf das Gute
gehofft und gemeint, ich würde einen positiven Bescheid erhalten. Aber all mein
Hoffen und Harren war bis hierhin vergeblich … Doch nun steht Ihr plötzlich vor
mir, mein Kind, einem Engel gleich, und meine Hoffnung kehrt zurück. Denn was
anderes als ein Zeichen von Gott, unserem Herrn, könntet Ihr mir bringen?«
»Die Herren
Kleinsorge, sie leben und sind außer Landes, Hochwürden.« Sie hatte die Stimme
gedämpft und schaute sich ängstlich zur Tür um. »Sicher werden sie Euch helfen,
wenn ich ihnen Bescheid gebe. Ich könnte auch Meister David bestechen. Ich
würde alles für Euch tun, wenn Ihr mir nur sagt, was …«
Er lächelte bitter.
»Ihr liebt ihn wohl immer noch, den Meister David?«
»Ja, Hochwürden«,
antwortete sie wahrheitsgetreu und versuchte, die Röte ihrer Wangen unter der
Kapuze zu verbergen. »Er hat es mir ermöglicht, jetzt bei Euch zu sein. Doch zu
viel ist in den letzten Tagen geschehen. Ich glaube, es ist nicht die Zeit für
Mädchenschwärmereien, und trotzdem weiß ich, dass der Henker mir zugetan ist.«
Einen Augenblick
dachte sie an ihren Gang zur Scharfrichterei zurück. David war verärgert
gewesen, weil sie sich mit einem Trick bei dem Knecht den Zugang erschlichen
hatte. Sie erinnerte sich an seine Augen, die für einen Moment voller
Leidenschaft auf ihr geruht hatten, bevor er plötzlich die Brauen über der Nase
zusammengezogen und Maria roh, fast brutal, am Arm gepackt hatte. Er hatte
völlig verändert gewirkt. Auch das Leuchten war aus seinen Augen gewichen.
»Komm!«, klang noch im Nachhinein seine harte Stimme in ihren Ohren. »Ich habe
dir verboten, jemals den Versuch zu unternehmen, mich wiederzusehen.« Er hatte
sie wütend vor sich her in die Folterkammer vor einen seltsamen Stuhl gestoßen.
»Oder willst du eines Tages damit Bekanntschaft machen?«
Vor Schmerz und
Entsetzen hatte sie lediglich den Kopf geschüttelt und war zaudernd vor ihm auf
die Knie gesunken. Mit Schaudern hatte sie das getrocknete Blut am Mauerwerk
hinter dem Folterstuhl gesehen, die vier am Boden festgeschraubten Füße und die
Pferdehaargurte an der Rückenlehne. Aus dem Sitz hatten lange, spitze hölzerne
Stacheln hervorgeragt.
»David, bei Gott,
ich bin gekommen, um für den Pastor zu bitten!«, hatte sie erschrocken gefleht,
doch sein Blick war abweisend und fremd geblieben. Und trotz allem hatte sie
hinter seinen Worten deutlich die verhaltene Leidenschaft gespürt.
»Verzeih mir die
Rohheit, schöne Hexe. Es steht nicht in meiner Macht, dem Prediger zu helfen.
Ich kann dir höchstens freies Geleit geben, um zu ihm zu gehen. Doch in Gottes
Namen: Komm nie wieder!« Am Zittern seiner Stimme hatte sie herausgehört, wie
schwer ihm dieser Schritt gefallen war.
Andreas richtete
sich mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht auf. Seine Augen ruhten jetzt forschend
auf ihrem Gesicht. Sie spürte, dass er ihr ins Herz schaute, und lenkte schnell
ein: »Vielleicht kann ich eine mildere Folter erwirken. David ist ein mutiger
Mann, und der Rat fürchtet ihn.«
»Ach, Ihr seid noch
immer ein einfältiges Kind!« Andreas zog den malträtierten Fuß näher heran.
»Den Scharfrichter vergesst. Er hat ganz andere Sorgen. Erst kürzlich hat er
wieder eine Tochter verloren. Obwohl er den gräflichen Leibarzt rufen ließ und
keine Heilmittel aus der Apotheke ihm zu kostspielig waren, hat der Herrgott
das Mädchen zu sich genommen. Da der Leibarzt vermutete, dass dem Kind Gift
beigebracht wurde, hat Meister David getobt wie noch nie und allen Hexen mit
dem Tod gedroht. Und sollte Cothmann, der jetzige Direktor des peinlichen
Gerichtes, auch Bürgermeister von Lemgo werden, so steht zudem Davids Beziehung
zum Hohen Rat auf wackligen Füßen. Er wird sich also keine Nachsicht erlauben,
schon um sein Verhältnis zu Cothmann und zum Grafen zu verbessern.«
»Ich glaube an das
Gute in ihm!«
»Möglich, dass auch
ein Scharfrichter ab und zu ein guter Mensch ist, solange es nicht an sein
eigenes Leben geht. Außerdem habe ich meine Torturen längst überstanden, mein
Kind. Der Befehl dazu kam von der Universität von Gießen, und der alte und
geschworene Rat hat dem, korrekt wie immer, zugestimmt.« Er lachte fast ein
wenig zynisch. »Bis zur dritten Tortur habe ich
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