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Der Henker von Lemgo

Der Henker von Lemgo

Titel: Der Henker von Lemgo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Szrama
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einen
Ehemann an Eurer Seite, der es an Stärke und Unerschrockenheit mit Euch
aufnehmen kann.« Diedrich wusste, dass sie es schwer haben würde, in Lemgo
jemals einen Mann zu finden, und drückte ihr zum Abschied mitfühlend die Hand.
    Der Wärter schob
den schweren Riegel zur Seite, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn
quietschend um. »Es ist offen«, murmelte er, hängte den Schlüsselbund zurück an
den Gürtel und wendete ihr dann sein Gesicht zu. Er war ihr unheimlich. Nicht
allein die Größe und das verfilzte Haar schockierten sie, und auch nicht die
wulstige Narbe, welche seine rechte Gesichtshälfte entstellte. Der Blick war
es, der leere Blick seiner weißen Augäpfel. Mit Schaudern dachte sie daran,
dass der Mann vielleicht einmal blaue Augen gehabt hatte und schön von
Angesicht gewesen war. Hatte ihm der Krieg oder der Henker das Augenlicht
genommen?
    »Aber nur kurz«,
unterbrach der Mann ihre Gedanken. »Ich warte vor der Tür, falls der Hexer Euch …« Er grinste breit. »Na, Ihr wisst schon!«
    Während sie halb
gebückt durch die niedrige Kerkertür trat, blickte sie noch einmal zurück. Sie
wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass seine blinden Augen sie noch durch
den schützenden Umhang durchbohrten.
    Knarrend fiel die
Tür hinter ihr ins Schloss, und sie trat unentschlossen in den Raum. Ihr
fröstelte. Dunkelheit umfing sie, und ihre Augen mussten sich erst langsam an
den Kerker gewöhnen.
    Sie hätte David
bitten sollen, sie in den Hexenturm zu begleiten. Ein Lächeln glitt über ihre
Züge, als sie an ihn dachte. Er hatte sie nicht noch einmal auf den Mund
geküsst, obwohl sie es sich heimlich gewünscht hatte. In der Stadt wurde
zurzeit so viel herumgehurt wie noch nie zuvor, Ehebruch war an der
Tagesordnung. Dass ausgerechnet der Henker sich ehrenvoll verhielt, ließ ihr
Herz für ihn noch höherschlagen.
    Ein tiefes Stöhnen
riss sie aus ihren Gedanken. »Hochwürden?«, rief sie leise in den Raum hinein.
    »Herr, mein Erlöser?
Seid Ihr es?«, kam es röchelnd aus dem Verlies zurück.
    Maria machte mutig
einige Schritte nach vorn, bis sie erstarrte. Unmittelbar an der Wand vor ihr
saß zusammengesunken der Prediger. Der Kopf war ihm auf die Brust gesunken, das
dichte dunkle Haar hing ihm wirr ins Gesicht. Am Scheitel sickerte Blut hervor.
Erschrocken berührte sie seine Schulter. »Hochwürden?«
    Schwerfällig hob der
Prediger sein Gesicht. Es war so blass, dass es in der Dunkelheit leuchtete. An
seiner linken Schläfe klaffte eine blutende Wunde. Mühsam richtete er die müden
Augen auf sie und schien einen Moment zu überlegen, bevor er sie erkannte und
ein gequältes Lächeln über seine Züge huschte.
    Sie beeilte sich,
nach einem Taschentuch zu suchen, um es ihm auf die Wunde zu pressen. »Was
haben sie Euch angetan, Hochwürden?«, flüsterte sie mit belegter Stimme.
    »Jungfer Maria …?«
    Maria bemerkte, wie
das Leuchten in seine Augen zurückkehrte, und half ihm beim Aufstehen.
    »Maria«, flüsterte
er hastig, »welcher Engel hat Euch zu mir geschickt?« Sie bemerkte, dass ihm
das Stehen schwerfiel. Breitbeinig lehnte er sich gegen die Wand, um sicheren
Halt zu finden. »Die Beinschraube hat meine Unterschenkel zerquetscht«,
erklärte er ihr mühsam lächelnd wie zur Entschuldigung.
    Maria musste gegen
den Kloß in ihrem Hals ankämpfen, als sie den würdevollen Mann in dieser
erbärmlichen Verfassung vor sich sah. Das Hemd hing ihm in Fetzen von der
Brust, Schuhe trug er keine mehr. Der linke Fuß stand in einem unnatürlichen
Winkel ab und zeigte nach hinten.
    »Ich möchte Euch
helfen, Hochwürden. Sagt mir, was ich tun kann!« Vor Erschütterung konnte sie
die Tränen nur mühsam zurückhalten.
    »Das ist lieb von
Euch, meine Tochter, aber mir kann nur noch Gott helfen.«
    »In der Stadt
erzählt man sich, Ihr sollt mit dem Schwert hingerichtet werden. Aber es muss
doch jemanden geben, der dieses unsinnige Urteil verhindern kann, Ihr seid doch
der Kirche verpflichtet?«
    Er schüttelte
traurig den Kopf und hob ihr die gefesselten Hände entgegen. Nicht einmal ein
Kreuz zum Beten hatten sie ihm gelassen. Hastig nahm sie die Gebetsschnur ab,
die sie um den Hals trug, und schob sie ihm zwischen die geschwollenen Finger.
    Dankbar küsste er
das Kreuz. »Mein Geist und meine Seele gehören der Kirche und Gott, meine
Tochter. Aber hier in Lemgo bin ich dem Hohen Rat verpflichtet, von dem mich
gewisse Leute zerstören wollen, Maria. Doch sie wissen nicht,

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