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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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mehr, woran er gerade gedacht hatte. Nur ein grauenhaftes Gefühl der Beklemmung erfasste ihn.
    »Geh nach unten«, sagte Henri, »warte am Fuss der Treppe, und gib mir das Zeichen.« Charles nickte. Eine Totenstille hatte sich über den Platz gelegt. Man hörte nur noch die Pferdehufe.
    Die königliche Kutsche hielt vor dem Schafott. Soldaten lösten sich aus ihren Reihen und bildeten ein Viereck um die Kutsche. Dann stieg der König aus. Ruhig, nachdenklich, aber ohne jegliches Zeichen von Panik. Er wirkte würdevoller und erhabener, als Charles ihn in Erinnerung hatte. Sein irischer Priester stand ihm zur Seite und murmelte Gebete. Desmorets ergriff die Initiative, während Charles und die anderen drei Gehilfen wie versteinert den Verurteiltenanstarrten. Voller Ehrfurcht und Respekt erklärte Desmorets dem Todgeweihten, dass es gemäss Vorschrift seine Pflicht sei, ihm seine Kleider abzunehmen. Er wollte nach dem Rock des Königs greifen, doch dieser wich empört zurück. »Nehmt meinen Rock, aber rührt mich nicht an!«, sagte der Mann, der vor kurzem in ganz Europa noch als König Louis XVI bewundert worden war. »Wir müssen dir auch die Hände binden und Haare und Kragen entfernen. Das ist Vorschrift, Bürger Capet.« Er nannte ihn tatsächlich Bürger Capet.
    Plötzlich sah der König Charles direkt in die Augen, und alle Energie und Kraft wichen aus Charles’ Körper. Für einen Augenblick wollte er niederknien und den König der Franzosen um Verzeihung bitten. Aber dann kam ihm die Würde seines Amtes in den Sinn. Wegen dir sind Tausende gestorben, dachte Charles, Hunderttausende, und dank der Revolution haben wir Menschen unsere Würde zurückerhalten. Wieso zum Teufel hast du nicht frühzeitig und freiwillig auf den Thron verzichtet? Weil du alles behalten wolltest, hast du nun alles verloren. Der Tod des Königs ist der Preis für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
    Charles ging ein paar Schritte auf den König zu . » Das Binden der Hände ist notwendig. Wir können sonst unsere Arbeit nicht ausführen«, sagte er leise. Der König nickte, ohne seinen Henker anzuschauen. Doch er rührte sich nicht. Charles bat den Priester, ihm behilflich zu sein. Dieser begriff schnell und flüsterte dem König etwas zu. Sichtlich gedemütigt legte der König die Arme hinter den Rücken. Charles konnte nun die Hände binden, die das Zepter der Könige Frankreichs gehalten hatten. Bevor Louis Capet dieTreppe zum Schafott hochstieg, küsste er das Marienbild, das ihm der irische Priester vor den Mund hielt. Kaum hatte er die Plattform des Schafotts erreicht, wandte sich der Bürger Capet an das Volk, das nicht mehr seines war, und schrie mit fester, klarer Stimme: »Franzosen, ihr seht euren König bereit, für euch zu sterben. Könnte doch mein Blut euer Glück besiegeln. Ich sterbe ohne Schuld.«
    Santerre bahnte sich mit seinem Pferd einen Weg zum Schafott und gab den Trommlern ein Zeichen, sofort die Schlägel zu rühren. Die letzten Worte des Königs gingen im ohrenbetäubenden Trommelwirbel unter. Charles drehte sich nach dem irischen Priester um, doch im gleichen Augenblick sauste das schwere Fallbeil herunter, und das königliche Haupt purzelte in den Korb. Charles hatte gar nicht bemerkt, dass man den König bereits auf das Brett geschnallt hatte. Henri nahm den Kopf aus dem Weidenkorb, während eine riesige Blutfontäne aus dem stämmigen Rumpf schoss. Für einen solchen Stiernacken hatte es tatsächlich eine abgeschrägte Klinge gebraucht. Während Henri den Kopf der Volksmenge zeigte, eilten einige mit ihren Taschentüchern zum Schafott. Es gab vereinzelte Rufe »Es lebe die Republik!«, aber ein betretenes Schweigen dominierte den Platz. Die Leute waren peinlich berührt. Jetzt hatten sie tatsächlich ihren eigenen König guillotiniert.
    Charles wurde erneut von einem Schwindel heimgesucht. Bei aller Vernunft empfand er die Tat wie einen Verrat, eine Todsünde, einen Vatermord, und er war überzeugt, dass ihn der Rumpf des Königs in seinen Träumen verfolgen und er in der Tiefe seines Weinglases fortan dessen Kopf mit diesem merkwürdigen Ausdruck sehen würde, der Verblüffungund Erstaunen ausdrückte. Aber er würde diesem Kopf Paroli bieten, denn er hatte es verdient, vom Rumpf getrennt zu werden. Er hatte sein Volk verachtet. »Es lebe die Republik!«, skandierten nun immer mehr Menschen.
    Die Gehilfen begannen mit der Demontage der Maschine, während Charles und Henri die Leiche des Königs in

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