Der Henker von Paris
ihrem Fuhrwagen zum Friedhof Madeleine fuhren. Sie wurden von Soldaten eskortiert. Kein Souvenirjäger sollte sich an den Kleidern des Königs vergreifen.
Auf dem Friedhof wartete bereits Marie Grosholtz. Widerstandslos erhielt sie den Kopf des Königs und machte sich sofort an die Arbeit, während Charles und Henri den Rumpf entkleideten. Nichts war königlich an diesem toten Körper. Bleich, fett, ohne Würde. Selbst seine Geschlechtsteile waren nicht spektakulär. Nichts von all dem, was er gehortet hatte, hatte er mitnehmen können in die andere Welt. Weder sein Gold noch seine Jagdhunde, noch den Spiegelsaal von Versailles.
Die Zunge zwischen die Zähne gepresst, arbeitete die verrückte Marie blitzschnell und routiniert am Abguss. Talent und Leidenschaft konnte man ihr nicht absprechen. Sie beendete ihre Arbeit rasch. Mit einem Strahlen im Gesicht verabschiedete sie sich. Ihre Kutsche wartete. Ihr schien dieser abgeschlachtete, blutige Leichnam nicht im Geringsten zuzusetzen. Sie lebte nur für ihre Wachsfiguren.
Als Charles den Friedhof verlassen wollte, stand ein kleiner Mann beim Tor. Er trug eine senfgelbe Hose und nuckelte an seiner Pfeife. Gorsas. »Ich wollte mal mitansehen, wie die Kleine die Totenmasken abnimmt. Aber offenbar komme ich zu spät. Halb so schlimm, es werden noch vieleKöpfe rollen.« Gorsas stellte sich den Pferden in den Weg. »Kommen Sie, Monsieur de Paris, ich lade Sie zu einem Glas Wein ein. Wir müssen reden.«
Eigentlich hatte Charles zum Jesuitenkloster fahren wollen. Aber er spürte, dass er Gorsas begleiten musste. Vielleicht hatte er ihm etwas Wichtiges mitzuteilen. Vielleicht war er in Gefahr.
Gemeinsam fuhren sie zum Etablissement an der Rue des Deux-Portes. Das Haus war gut besucht, wie meistens nach einer Exekution. Man besprach den Fall und kam jeweils zum Schluss, dass der Verurteilte den Tod verdient hatte. Man demonstrierte damit seine Loyalität gegenüber der Revolution. Die Dienste der Mädchen waren weniger gefragt. Man genoss zwar die Atmosphäre und die viele nackte Haut, aber in erster Linie war man hier, um öffentliche Bekenntnisse abzulegen.
In der Mitte des Hauptsaals sassen die nun mächtigsten Männer Frankreichs: Robespierre und Saint-Just. Selbstbewusst streckten sie die Arme auf den breiten Polstern ihrer Sessel aus. Sie hatten die Guillotine und die Befehlsgewalt darüber. Charles fühlte sich schäbig, ausgenutzt.
»Ich hörte, Sie führen ein Tagebuch«, sagte Gorsas leise, »darf ich mal darin lesen?«
Charles schüttelte irritiert den Kopf. »Wie sollte ich Zeit finden, ein Tagebuch zu führen? Und für wen? Ich habe kein Bedürfnis danach.«
»Na so was, in den Druckereien sind die Tagebücher ausverkauft, aber kein Mensch führt Tagebuch. Wozu kaufen die Menschen sie bloss?« Gorsas grinste vielsagend.
»Das kann viele Gründe haben«, sagte Charles.
»Ich habe bei den Druckereien ein bisschen recherchiert und erfahren, dass Sie ein treuer Kunde sind.«
»Ich brauche sie, um Buch zu führen. Das schreibt mir mein Amt vor. Ich halte die Namen der Verurteilten fest, ihren Beruf, den Grund ihrer Hinrichtung und erstelle eine Inventarliste über ihre letzten Habseligkeiten.«
Gorsas nickte und schmunzelte dabei vieldeutig. Er glaubte Charles kein Wort. »Auch wir Journalisten stehen mächtig unter Druck«, sagte er. »Am liebsten wäre es der Revolutionsregierung, wir würden jeden Tag Bürger verleumden, die man dann unter die Guillotine schicken kann. Aber jeder Bürger ist ein potentieller Leser!« Er lehnte er sich nach vorn und flüsterte Charles zu: »Schauen Sie mal da drüben, unsere neuen Könige.« Er grinste übers ganze Gesicht.
Robespierre hatte Gorsas erkannt und rief ihm zu: »Gorsas, schreiben Sie es auf: Was die Republik ausmacht, ist die vollständige Ausmerzung dessen, was gegen sie ist.«
»Dann wird der Wohnraum in Paris bald sehr günstig«, sagte Gorsas und bestellte Champagner.
»Man muss nicht nur die Verräter in unserem Land bestrafen, sondern auch die Gleichgültigen, jeden, der passiv ist und nichts für die Revolution tut«, fügte Saint-Just mit gewichtiger Miene hinzu.
Robespierre pflichtete ihm bei: »Die Deutschen marschieren im Norden, die Briten im Süden. Marseille hat britische Truppen zu Hilfe gerufen. Wir müssen die Stadt dem Erdboden gleichmachen und fortan ›Stadt ohne Namen‹ nennen, als Warnung. Nur mit beispiellosem Terror können wir die Konterrevolutionäre im Innern ausmerzen,damit
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