Der Herr der Falken - Schlucht
hatte keine Zeit, ihn danach zu fragen.«
ANMERKUNG DER AUTORIN
In römischer Zeit hieß Schottland Kaledonien. Erst Mitte des neunten Jahrhunderts bekam das Land den Namen Schottland. Loch Ness wurde bereits zu Zeiten der Wikinger Loch Ness genannt. Irgendwie widerstrebte es mir, das Ungeheuer von Loch Ness >Nessie< zu nennen. Deshalb gab ich ihm den Namen Caldon.
Loch Ness ist vierundzwanzig Meilen lang und etwa eine Meile breit. Der See friert im Winter nicht zu und wird von acht Flüssen und zahllosen Bächen gespeist. Der Lauf der einzelnen Zuflüsse hat sich in Jahrhunderten und Jahrtausenden verändert. Der einzige Abfluß des Sees ist heute das Flüßchen Ness, das in die Moray Förde mündet.
Der Heilige Columba war der erste Mensch, von dem die Überlieferung weiß, daß er im sechsten Jahrhundert das Ungeheuer von Loch Ness gesehen hat. Seit dieser Zeit gibt es zahllose Berichte und Aufzeichnungen der Erscheinung, die einander alle erstaunlich ähneln. In den 30er Jahren unseres Jahrhunderts häuften sich die Augenzeugenberichte, als der uralte Baumbestand am Westufer von Loch Ness dem Bau einer neuen Schnellstraße weichen mußte. Seit dieser Zeit füllt Nessie immer wieder die Spalten der Tageszeitungen und lockt zahllose Besucher an, die einen Blick auf sie erhaschen wollen.
Ob ich an Nessies Existenz glaube?
1990 reisten mein Mann und ich durch die schottischen Highlands. In der Nähe von Drumnadrochit bei Urquhart Castle, einem beliebten Platz für Nessiebesucher, ließen wir den Leihwagen stehen, um ein wenig zu wandern. Es war ein feuchtwarmer, nebelverhangener Tag - also ein völlig normaler Hochsommertag in den Highlands. Wir holten unseren Picknickkorb aus dem Kofferraum und wanderten zur Burgruine hinauf, die auf einem Felsvorsprung über dem See thront. Wegen des starken Nebels waren nur wenige Touristen unterwegs, und wir breiteten ungestört unsere Decke aus und ließen es uns schmecken. Der Nebel legte sich feucht auf die gebratenen Hühnerschenkel und das Brot, er beschlug sogar die Weingläser, wovon wir uns allerdings nicht stören ließen. Mein Mann machte ein Nickerchen, ich las ein Buch. Es war ein fauler, erholsamer Nachmittag. Bald wurde der Nebel dichter. Beim Geräusch eines leisen Fauchens hob ich den Kopf. Ein Fauchen? Ein Zischen? Eine Schlange? Im Wasser?
Meine Nackenhaare sträubten sich. Mein Herzschlag setzte einen Moment lang aus. Da wieder, dieses leise Zischen, nur war es jetzt näher. Und plötzlich lichtete sich der Nebel, als habe jemand mit dem Messer eine Öffnung in die Nebelbank geschnitten. Und in dieser Öffnung erschien der Kopf eines Tieres. Lautlos tauchte dieser Kopf immer weiter aus dem Wasser auf. Ich begriff, daß Nessie sich mir zeigte. Da saß ich auf diesem Felsvorsprung und starrte gebannt auf den See, konnte nicht glauben, was ich sah. Und dennoch: ich sah ihn wirklich, diesen unglaublich langen Hals mit dem kleinen Kopf, der aus dem Wasser ragte. Ich streckte die Hand aus und flüsterte ihr etwas zu. Und plötzlich zog sich die Nebelwand wie ein Vorhang wieder zu. Und alles war wieder milchig grau. Ich saß lange reglos da und fragte mich, ob ich träumte oder ob mir der Wein zu Kopf gestiegen sei. Schließlich war ich überzeugt: Nessie existiert, sie und ihre Kinder. Ich weiß nicht, wie viele Generationen neuer Nessies geboren wurden, seit der Heilige Columba sie im sechsten Jahrhundert zu Gesicht bekommen hat. Fünf? Zehn?
Wen kümmert's? Nessie lebt.
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