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Der Herr der Ringe

Der Herr der Ringe

Titel: Der Herr der Ringe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. R. R. Tolkien
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größer und klarer, als sie näher kam. Plötzlich erkannte Frodo, dass sie ihn an Gandalf erinnerte. Fast hätte er den Namen des Zauberers laut gerufen, und dann sah er, dass die Gestalt nicht in Grau, sondern in Weiß gekleidet war, in ein Weiß, das schwach in der Dämmerung schimmerte; und in der Hand hielt sie einen weißen Stab. Der Kopf war so gebeugt, dass Frodo das Gesicht nicht erkennen konnte, und plötzlich wandte sich die Gestalt ab, weil die Straße eine Biegung beschrieb, und verschwand aus dem Spiegel. Zweifel stiegen in Frodo auf: War das eine Vision von Gandalf auf einer seiner vielen einsamen Wanderungen vor langer Zeit, oder war es Saruman?
    Nun wechselte das Bild. Kurz und stark verkleinert, aber sehr lebendig erblickte er Bilbo, wie er unruhig in seinem Zimmer auf und ab ging. Der Tisch war mit allen möglichen Papieren übersät; Regen schlug gegen die Fenster.
    Dann trat eine Pause ein, und danach folgten viele rasche Szenen, von denen Frodo irgendwie wusste, dass sie Teile dieser bedeutsamen Geschichte waren, in die er verwickelt war. Der Nebel klarte auf, und er sah etwas, das er noch nie erblickt hatte, doch sofort erkannte: das Meer. Die Dunkelheit brach herein. Das Meer stieg und tobte in einem großen Sturm. Dann sah er gegen die Sonne, die blutrot in Wolken versank, die schwarzen Umrisse eines großen Schiffs, das mit zerfetzten Segeln aus dem Westen heranfuhr. Dann einen breiten Strom, der durch eine bevölkerte Stadt floss. Dann eine weiße Festung mit sieben Türmen. Und dann wieder ein Schiff mit schwarzen Segeln, aber jetzt war es Morgen, und das Licht glitzerte auf dem Wasser, und eine Flagge, die einen weißen Baum zeigte, schimmerte in der Sonne. Ein Rauch wie von Feuer und Kampf stieg auf, und wieder ging die Sonne in einem brennenden Rot unter, das zu einem grauen Nebel verblasste; und in dem Nebel fuhr ein kleines Schiff davon, auf dem Lichter blinkten. Es verschwand, und Frodo seufzte und wollte schon zurücktreten.
    Da wurde der Spiegel plötzlich völlig dunkel, so dunkel, als ob sich in der sichtbaren Welt ein Loch aufgetan hätte, und Frodo schaute in eine Leere. In dem schwarzen Abgrund erschien ein einzelnes Auge, das langsam wuchs, bis es fast den ganzen Spiegel ausfüllte. So entsetzlich war es, dass Frodo wie angewurzelt dastand und weder aufzuschreien noch seinen Blick abzuwenden vermochte. Das Auge war von Feuer umrandet, aber es selbst war glasig, gelb wie ein Katzenauge, wachsam und angespannt, und der schwarze Schlitz seiner Pupille öffnete sich über einem Abgrund wie ein Fenster zum Nichts.
    Dann begann sich das Auge zu bewegen und hier und dort zu suchen; und Frodo wusste ganz genau und voller Entsetzen, dass unter den vielen Dingen, die es suchte, er eines war. Aber er wusste auch, dass es ihn nicht sehen konnte – noch nicht, nicht, solange er es nicht wollte. Der Ring, der an seiner Kette um seinen Hals hing, wurde schwer, schwerer als ein großer Stein, und Frodos Kopf wurde nach unten gezogen. Der Spiegel schien heiß zu werden, und Dampfwolken stiegen vom Wasser auf. Frodo glitt nach vorn.
    »Berühre das Wasser nicht!«, sagte Frau Galadriel leise. Das Bild verblasste, und Frodo merkte, dass er auf die kühlen Sterne schaute, die in der silbernen Schale blinkten. Er trat zurück, zitterte von Kopf bis Fuß und blickte Frau Galadriel an.
    »Ich weiß, was du zuletzt gesehen hast«, sagte sie. »Denn daran denke auch ich. Habe keine Angst! Aber glaube nicht, dass nur durch Singen unter den Bäumen oder auch durch die schlanken Pfeile der Elbenbogen dieses Land Lothlórien gehalten und gegen den Feind verteidigt wird. Ich sage dir, Frodo,dass ich, während ich mit dir spreche, den Dunklen Herrscher wahrnehme und seine Absichten erkenne, oder diejenigen seiner Absichten, die die Elben betreffen. Und immer trachtet er, mich und meine Gedanken zu sehen. Aber noch ist die Tür verschlossen!«
    Sie hob ihre weißen Arme und streckte ihre Hände nach dem Osten aus in einer Geste der Abwehr und Ablehnung. Earendil, der Abendstern, den die Elben über alles liebten, strahlte klar am Himmel. So hell strahlte er, dass die Gestalt der Elben-Herrin einen schwachen Schatten auf den Boden warf. Seine Strahlen glänzten auf dem Ring an ihrem Finger; der Ring glitzerte wie poliertes Gold, mit Silberlicht überzogen, und ein weißer Stein auf ihm blinkte, als sei der Abendstern herabgekommen, um auf ihrer Hand zu ruhen. Frodo betrachtete den Ring ehrfürchtig; denn

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