Der Herr der Ringe
plötzlich war ihm, als begriffe er es.
»Ja«, sagte sie und erriet seine Gedanken. »Es ist nicht erlaubt, darüber zu sprechen, und Elrond durfte es nicht. Aber es kann nicht verborgen bleiben vor dem Ringträger und einem, der das Auge gesehen hat. Wahrlich, einer der Drei ist in dem Land Lórien und auf Galadriels Finger. Es ist Nenya, der Ring aus Adamant, und ich bin seine Hüterin.
Er vermutet es, aber er weiß es nicht – noch nicht. Begreifst du jetzt, warum dein Kommen für uns wie ein Vorbote des Schicksals ist? Denn wenn du scheiterst, dann werden wir dem Feinde offenbart. Doch wenn du Erfolg hast, dann wird unsere Macht gemindert und Lothlórien wird vergehen, und die Fluten der Zeit werden es hinwegspülen. Wir müssen nach dem Westen ziehen oder ein Landvolk der Täler und Höhen werden, das langsam vergisst und vergessen wird.«
Frodo senkte den Kopf. »Und was wünscht Ihr?«, fragte er schließlich.
»Dass, was sein soll, geschehen wird«, antwortete sie. »Die Liebe der Elben zu ihrem Land und ihren Werken ist tiefer als die Tiefen der See, und ihr Schmerz ist unendlich und kann niemals ganz gelindert werden. Dennoch werden sie eher alles aufgeben, als sich Sauron zu unterwerfen: denn sie kennen ihn jetzt. Für Lothlóriens Schicksal bist du nicht verantwortlich, aber für die Erledigung deiner eigenen Aufgabe. Doch wünschte ich mir, wenn es irgendetwas nützte, dass der Eine Ring niemals geschmiedet oder niemals wiedergefunden worden wäre.«
»Ihr seid weise und furchtlos und schön, Frau Galadriel«, sagte Frodo. »Ich will Euch den Einen Ring geben, wenn Ihr ihn verlangt. Er ist eine zu gewichtige Sache für mich.«
Galadriel lachte plötzlich hell auf. »Weise mag Frau Galadriel sein«, sagte sie, »doch hier hat sie einen gefunden, der ihr an Höflichkeit gleichkommt. Mit Liebenswürdigkeit rächst du dich dafür, dass ich dein Herz bei unserer ersten Begegnung auf die Probe gestellt habe. Du beginnst, mit scharfen Augen zu sehen. Ich leugne nicht, dass mein Herz sehr begehrt hat, um das zubitten, was du anbietest. Viele lange Jahre habe ich darüber nachgesonnen, was ich tun würde, wenn mir der Große Ring in die Hände fiele, und siehe da! er ist in meiner Reichweite. Das Böse, das vor langer Zeit erdacht war, wirkt auf mancherlei Weise, ob Sauron selbst steht oder fällt. Würde das nicht eine edle Tat gewesen sein, die dem Einfluss seines Ringes zuzuschreiben wäre, wenn ich ihn meinem Gast mit Gewalt oder unter Drohungen abgenommen hätte?
Und nun ist es endlich soweit. Du willst mir den Ring freiwillig geben! Anstelle des Dunklen Herrschers willst du eine Königin einsetzen. Und ich werde nicht dunkel sein, sondern schön und entsetzlich wie der Morgen und die Nacht! Schön wie das Meer und die Sonne und der Schnee auf dem Gebirge! Grausam wie der Sturm und der Blitz! Stärker als die Grundfesten der Erde. Alle werden mich lieben und verzweifeln!«
Sie hob die Hand, und von dem Ring, den sie trug, ging ein starkes Licht aus, das nur sie allein erleuchtete und alles andere dunkel ließ. Sie stand vor Frodo und schien jetzt unermesslich groß zu sein, und unerträglich schön, entsetzlich und verehrungswürdig. Dann ließ sie die Hand sinken, und das Licht verblasste, und plötzlich lachte sie wieder, und siehe da! sie war geschrumpft: eine schlanke Elbenfrau, in einfaches Weiß gekleidet, deren liebliche Stimme leise und traurig war.
»Ich bestehe die Prüfung«, sagte sie. »Ich werde schwächer werden und in den Westen gehen und Galadriel bleiben.«
Sie standen eine Weile schweigend da. Schließlich sprach die Herrin wieder. »Lasst uns zurückgehen«, sagte sie. »Am Morgen müsst ihr aufbrechen. Denn nun haben wir uns entschieden, und der Strom des Schicksals fließt weiter.«
»Ich möchte gern etwas fragen, ehe wir gehen«, sagte Frodo. »Etwas, das ich Gandalf oft in Bruchtal hatte fragen wollen. Ich darf den Einen Ring tragen: Warum kann ich nicht all die anderen sehen und die Gedanken von denen, die sie tragen, erraten?«
»Du hast es nicht versucht«, antwortete sie. »Erst dreimal hast du den Ring auf den Finger gesteckt, seit du wusstest, was du besitzt. Versuche es nicht! Es würde dich vernichten. Hat Gandalf dir nicht gesagt, dass der Ring Macht verleiht entsprechend der Natur jedes Besitzers? Ehe du diese Macht anwenden könntest, müsstest du weit stärker werden und deinen Willen dazu ausbilden, andere zu beherrschen. Doch jetzt schon, als Ringträger
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