Der Herr der Ringe
dieses Reich sind seit vielen langen Jahren in der Obhut der Truchsessen gewesen, und ich fürchte, wenn ich ungebeten komme, könnten Zweifel und Hader entstehen, und das sollte nicht geschehen, solange dieser Krieg ausgefochten wird. Ich werde die Stadt nicht betreten oder irgendeinen Anspruch erheben, ehe sich ersehen lässt, wer die Oberhand behält, wir oder Mordor. Die Leute sollen meine Zelte auf dem Schlachtfeld aufschlagen, und hier will ich warten, bis der Herr der Stadt mich willkommen heißt.«
Aber Éomer sagte: »Schon habt Ihr die Fahne des Königs aufgezogen und die Wahrzeichen von Elendils Haus gezeigt. Wollt Ihr zulassen, dass sie in Zweifel gezogen werden?«
»Nein«, sagte Aragorn. »Aber ich halte die Zeit noch nicht für reif; und mir steht der Sinn nicht nach Kampf, außer mit unserem Feind und seinen Dienern.«
Und Fürst Imrahil sagte: »Eure Worte, Herr, sind weise, wenn einer, der ein Verwandter des Herrn Denethor ist, Euch in dieser Frage einen Rat geben darf. Er ist willensstark und stolz, aber alt; und seine Stimmung war seltsam, seit sein Sohn niedergestreckt wurde. Dennoch möchte ich nicht, dass Ihr wie ein Bettler an der Tür bleibt.«
»Nicht wie ein Bettler«, antwortete Aragorn. »Sagen wir, wie ein Hauptmann der Waldläufer, die an Städte und Steinhäuser nicht gewöhnt sind.« Und er gab Befehl, seine Fahne aufzurollen; er legte den Stern des Nördlichen Königreichs ab und gab ihn Elronds Söhnen in Verwahrung.
Dann verließen ihn Fürst Imrahil und Éomer von Rohan und gingen durch die Stadt und die Volksmenge und stiegen zur Veste hinauf; und dort kamen sie zu der Halle des Turms und suchten den Truchsess. Aber sie fanden seinen Sessel leer, und vor dem erhöhten Sitz lag Théoden, König der Mark, aufgebahrt; und zwölf Fackeln standen um sein Bett, und zwölf Ritter von Rohan und Gondor hielten die Totenwache. Und die Vorhänge des Bettes waren in Grün und Weiß, aber bis zu seiner Brust war über den König ein großes Tuch aus Gold gebreitet, und darauf lag sein blankes Schwert, und zu seinen Füßen sein Schild. Das Licht der Fackeln schimmerte auf seinem weißen Haar wie Sonne im Sprühregen eines Springbrunnens, doch sein Gesicht war schön und jung, nur lag ein Frieden auf ihm, der für die Jugend unerreichbar ist; und es schien, dass er schlief.
Als sie eine Zeitlang stumm neben dem König gestanden hatten, fragte Imrahil: »Wo ist der Truchsess? Und wo ist Mithrandir?«
Und einer der Wächter antwortete: »Der Truchsess von Gondor ist in den Häusern der Heilung.«
Aber Éomer sagte: »Wo ist Frau Éowyn, meine Schwester; denn gewiss sollte sie doch neben dem König liegen und mit nicht geringerer Ehre? Wo hat man sie untergebracht?«
Und Imrahil sagte: »Aber Frau Éowyn lebte noch, als sie hierhergetragen wurde. Wusstet Ihr das nicht?«
Da überfiel die unerwartete Hoffnung Éomers Herz so plötzlich, und gleichzeitig packten ihn von neuem Besorgnis und Furcht, dass er nichts mehr sagte, sondern sich umwandte und rasch die Halle verließ; und der Fürst folgte ihm. Und als sie hinauskamen, hatte sich der Abend herabgesenkt, und viele Sterne standen am Himmel. Und da kam Gandalf zu Fuß, und mit ihm einer in einem grauen Mantel; und sie trafen sich vor den Türen der Häuser der Heilung. Und sie begrüßten Gandalf und sagten: »Wir suchen den Truchsess, und die Leute sagten, er sei in diesem Haus. Hat er irgendeine Verletzung erlitten? Und wo ist Frau Éowyn?«
Und Gandalf antwortete: »Sie liegt drinnen und ist nicht tot, aber dem Tode nahe. Aber Herr Faramir ist von einem bösen Pfeil verwundet worden, wie Ihr gehört habt, und er ist jetzt der Truchsess; denn Denethor ist verschieden, und sein Haus liegt in Asche.« Und sie waren voll Schmerz und Staunen über die Geschichte, die er ihnen erzählte.
Aber Imrahil sagte: »So ist der Sieg der Freude entkleidet, und er ist teuer erkauft, wenn beide Länder, Gondor und Rohan, an einem Tage ihrer Herrenberaubt sind. Éomer befehligt die Rohirrim. Wer soll derweil in der Stadt befehligen? Sollen wir nicht jetzt nach Herrn Aragorn schicken?«
Und der Mann im Mantel sprach und sagte: »Er ist gekommen.« Und sie sahen, als er in den Lichtschein der Laterne an der Tür trat, dass es Aragorn war, gehüllt in den grauen Mantel aus Lórien über seinem Panzer, und er trug kein anderes Zeichen als den grünen Stein von Galadriel. »Ich bin gekommen, weil Gandalf mich darum bittet«, sagte er. »Aber
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