Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Ringe

Der Herr der Ringe

Titel: Der Herr der Ringe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. R. R. Tolkien
Vom Netzwerk:
für seine Mutter gearbeitet worden, Finduilas von Amroth, die frühzeitig gestorben und für ihn nur eine Erinnerung war an Lieblichkeit in fernen Tagen und an seinen ersten Kummer; und ihr Gewand erschien ihm als eine Kleidung, die Éowyns Schönheit und Traurigkeit angemessen war.
    Doch sie erschauderte jetzt unter dem gestirnten Umhang, und sie blickte nach Norden, über die grauen diesseitigen Lande in das Auge des kalten Windes, wo in weiter Ferne der Himmel hart und klar war.
    »Wonach schaut Ihr, Éowyn?«, fragte Faramir.
    »Liegt nicht das Schwarze Tor dort drüben?«, sagte sie. »Und muss er dort nicht hinkommen? Es sind sieben Tage, seit er von dannen ritt.«
    »Sieben Tage«, sagte Faramir. »Aber denkt nicht schlecht von mir, wenn ich zu Euch sage: Sie haben mir sowohl eine Freude als auch eine Qual gebracht, die ich niemals zu erleben geglaubt hatte. Freude, Euch zu sehen; aber Qual, weil jetzt die Angst und der Zweifel dieser bösen Zeit wahrlich düster geworden sind. Éowyn, ich möchte nicht, dass diese Welt jetzt endet oder ich so bald verliere, was ich gefunden habe.«
    »Verlieren, was Ihr gefunden habt, Herr?«, antwortete sie; aber sie sah ihn ernst an, und ihre Augen waren gütig. »Ich weiß nicht, was Ihr in diesen Tagen gefunden habt, das Ihr verlieren könntet. Doch kommt, mein Freund, lasst uns nicht davon sprechen. Lasst uns überhaupt nicht sprechen! Ich stehe am Rand eines entsetzlichen Abgrunds, und vor meinen Füßen ist es völlig dunkel, aber ob hinter mir Licht ist, kann ich nicht sagen. Denn ich kann mich noch nicht umwenden. Ich warte auf irgendeinen Schicksalsschlag.«
    »Ja, wir warten auf den Schicksalsschlag«, sagte Faramir. Und sie sprachen nicht mehr; und es schien ihnen, als sie auf dem Wall standen, dass der Wind sich legte und das Licht schwächer und die Sonne trübe wurde undalle Geräusche in der Stadt und in den Landen erstarben: Weder Wind noch Stimme, weder Vogelruf noch Blätterrauschen waren zu hören; selbst das Schlagen ihrer Herzen hörte auf. Die Zeit stand still.
    Und als sie so dastanden, berührten sich ihre Hände und umschlossen einander, ohne dass sie es wussten. Und immer noch warteten sie und wussten nicht, worauf. Dann plötzlich schien es ihnen, dass über den Graten des fernen Gebirges noch ein dunkles Gebirge aufstieg und sich auftürmte wie eine Woge, die die Welt überfluten wollte, und darüber flackerten Blitze; und dann lief ein Beben durch die Erde, und sie spürten, wie die Wälle der Stadt erzitterten. Ein Geräusch wie ein Seufzer stieg ringsum von allen Landen auf; und ihre Herzen schlugen plötzlich wieder.
    »Es erinnert mich an Númenor«, sagte Faramir und wunderte sich selbst, als er sich sprechen hörte.
    »An Númenor?«, fragte Éowyn.
    »Ja«, sagte Faramir, »an das Land Westernis, das unterging, und an die große dunkle Woge, die über die grünen Lande stieg und über die Berge und weiterzog, unentrinnbare Dunkelheit. Ich träume oft davon.«
    »Dann glaubt Ihr, dass die Dunkelheit kommt?«, fragte Éowyn. »Unentrinnbare Dunkelheit?« Und plötzlich lehnte sie sich an ihn.
    »Nein«, sagte Faramir und sah ihr ins Gesicht. »Es war nur ein Bild in meinen Gedanken. Ich weiß nicht, was sich ereignet. Die Vernunft meines wachen Sinns sagt mir, dass großes Unheil geschehen ist und wir am Ende der Tage stehen. Aber mein Herz sagt nein; und alle meine Glieder sind unbeschwert, und eine Hoffnung und Freude erfüllen mich, die keine Vernunft widerlegen kann. Éowyn, Éowyn, Weiße Herrin von Rohan, in dieser Stunde glaube ich nicht, dass irgendeine Dunkelheit andauern wird.« Und er beugte sich herab und küsste sie auf die Stirn.
    Und so standen sie auf den Wällen der Stadt von Gondor, und ein starker Wind erhob sich und wehte, und ihre Haare, rabenschwarz und golden, flatterten und vermengten sich in der Luft. Und der Schatten verschwand, und die Sonne wurde entschleiert und das Licht brach hervor; und das Wasser des Anduin schimmerte wie Silber, und in allen Häusern der Stadt sangen die Menschen vor Freude, und aus welcher Quelle sie sich in ihre Herzen ergoss, konnten sie nicht sagen.
    Und ehe die Sonne den Mittagspunkt weit überschritten hatte, kam aus dem Osten ein großer Adler geflogen, und er brachte Nachrichten von den Herren des Westens, die alle Hoffnungen überstiegen, und er rief:
    Singe nun, Volk des Turmes von Anor ,
    Zu Ende für immer ist Saurons Herrschaft,
         Darnieder liegt der Dunkle Turm.
    Sing

Weitere Kostenlose Bücher