Der Herr der Ringe
nahmen auch die Númenrer an Weisheit und Glück zu. Das erste Anzeichen des Schattens, der auf sie fallen sollte, zeigte sich in den Tagen von Tar-Minastir, dem elften König. Er war es, der eine große Streitmacht aussandte, um Gil-galad zu helfen. Er liebte die Eldar, aber er beneidete sie auch. Die Númenrer waren nun große Seeleute geworden und hatten alle östlichen Meere erforscht, und nun verspürten sie Verlangen nach dem Westen und den verbotenen Gewässern; und je glücklicher ihr Leben war, desto mehr begannen sie sich nach der Unsterblichkeit der Eldar zu sehnen.
Nach Minastir gelüstete es die Könige überdies nach Reichtum und Macht. Ursprünglich waren die Númenrer als Lehrer und Freunde der geringeren Menschen, die unter Sauron gelitten hatten, nach Mittelerde gekommen; aber jetzt wurden ihre Häfen Festungen, und weite Küstenstriche hielten sie unter ihrer Botmäßigkeit. Atanamir und seine Nachfolger erhoben hohe Tribute, und die Schiffe der Númenrer kehrten, mit Beute beladen, zurück.
Es war Tar-Atanamir, der sich als Erster offen gegen den Bann wandte und erklärte, das Leben der Eldar stehe ihm von Rechts wegen zu. So verdunkelte sich der Schatten, und der Gedanke an den Tod verdüsterte die Herzen des Volkes. Dann wurden die Númenrer uneins: Auf der einen Seite standen die Könige und jene, die ihnen folgten, und sie wandten sich von den Eldar und den Valar ab; auf der anderen Seite standen die wenigen, die sich die Getreuen nannten. Sie lebten hauptsächlich im Westen des Landes.
Die Könige und ihre Anhänger gaben allmählich den Gebrauch der Eldarin-Sprachen auf; und schließlich nahm der zwanzigste König seinen königlichen Namen in númenrischer Form an, und er nannte sich Ar-Adûnakhôr, »Herr des Westens«. Dies erschien den Getreuen als ein böses Vorzeichen, denn bisher hatten sie diesen Titel nur einem der Valar gegeben, oder dem König der Altvordernzeit 10 . Und tatsächlich begann Ar-Adûnakhôr, die Getreuen zu verfolgen und jene zu bestrafen, die noch öffentlich die Elbensprache gebrauchten; und die Eldar kamen nicht mehr nach Númenor.
Dennoch nahmen Macht und Reichtum der Númenrer weiterhin zu; doch ihre Lebenszeit verkürzte sich in dem Maße, in dem ihre Todesangstwuchs und ihr Glück nachließ. Tar-Palantir versuchte, dem Übel zu begegnen; aber es war zu spät, und es gab Aufstand und Kampf in Númenor. Als er starb, ergriff sein Neffe, der Führer des Aufstandes, die Macht und wurde König Ar-Pharazôn. Ar-Pharazôn der Goldene war der stolzeste und mächtigste aller Könige, und er trachtete nach nichts Geringerem, als König der Welt zu sein.
Er beschloss, Sauron dem Großen die Vorherrschaft in Mittelerde streitig zu machen, und schließlich stach er mit einer großen Flotte in See und landete in Umbar. So groß waren Macht und Pracht der Númenrer, dass sogar Saurons Diener ihn verließen; und Sauron demütigte sich, unterwarf sich und flehte um Gnade. Da ließ ihn Ar-Pharazôn in der Torheit seines Stolzes als Gefangenen nach Númenor bringen. Es dauerte nicht lange, bis Sauron den König behext hatte und Herr über seine Entschlüsse war; und bald hatte er die Herzen aller Númenrer außer denen der übrig gebliebenen Getreuen soweit gebracht, dass sie sich wieder der Dunkelheit zuwandten.
Und Sauron belog den König, indem er behauptete, derjenige, der die Unsterblichen Lande besitze, würde ein immerwährendes Leben haben, und der Bann sei nur verhängt worden, um zu verhindern, dass die Könige der Menschen die Valar übertreffen. »Doch große Könige nehmen sich, was ihr Recht ist«, sagte er.
Schließlich hörte Ar-Pharazôn auf seinen Rat, denn er spürte, dass seine Tage zur Neige gingen, und er war verdummt durch seine Angst vor dem Tode. Er stellte dann die größte Streitmacht auf, die die Welt je gesehen hatte, und als alles bereit war, ließ er Trompeten blasen und setzte Segel; und er verstieß gegen den Bann der Valar und zog in den Krieg, um den Herren des Westens das immerwährende Leben zu entreißen. Doch als Ar-Pharazôn den Fuß auf die Gestade von Aman dem Glückseligen setzte, legten die Valar ihr Hüteramt nieder und riefen den Einen an, und die Welt wandelte sich. Númenor wurde niedergeworfen und vom Meer verschlungen, und die Unsterblichen Lande wurden auf immerdar den Kreisen der Welt entrückt. So endete Númenors Glanzzeit.
Die letzten Führer der Getreuen, Elendil und seine Söhne, entgingen mit neun Schiffen dem
Weitere Kostenlose Bücher