Der Herr der Ringe
Dunkelheit konnten sie den weißen Schimmer von Gischt erkennen, wo der Fluss einen kleinen Wasserfall hinunterfloss. Dann hörten plötzlich die Bäume auf, und die Nebel blieben zurück. Die Hobbits traten aus dem Wald heraus und sahen eine große Grasfläche vor sich. Der Fluss, jetzt schmal und hurtig, plätscherte ihnen fröhlich entgegen und schimmerte hier und dort im Licht der Sterne, die schon am Himmel standen.
Das Gras unter ihren Füßen war weich und kurz, als sei es gemäht oder geschnitten worden. Die Ausläufer des Waldes dahinter waren säuberlich gestutzt, wie eine Hecke. Der Pfad war nun leicht erkennbar, er war gut gepflegt und mit Steinen begrenzt. Er zog sich zum Gipfel einer grasbedeckten Kuppe hinauf, jetzt grau in der fahlen Sternennacht; und dort, immer noch hoch über ihnen auf einem weiteren Hang, sahen sie die Lichter eines Hauses funkeln. Hinunter führte der Pfad und dann wieder hinauf über einen langgestreckten, grasbewachsenen Berghang dem Licht entgegen. Plötzlich ergoss sich ein breiter gelber Strahl hell aus einer Tür, die geöffnet worden war. Da lag Tom Bombadils Haus vor ihnen, hinauf, hinab, unter dem Berg. Hinter ihm erhob sich ein steiler Rücken grau und kahl, und jenseits davon die dunklen Umrisse der Hügelgräberhöhen fern in der östlichen Nacht.
Sie alle hasteten jetzt voran, Hobbits und Ponys. Schon waren ihre Müdigkeit und ihre Ängste halb verflogen. Dong-long! Dongelong! schallte es ihnen zur Begrüßung entgegen.
Dong-long! Dongelong! Springt, ihr kleinen Leute!
Hobbits! Ponys! Kommt heran, ja die ganze Meute!
Jetzt beginnt der große Spaß, lasst uns alle singen!
Dann fiel eine andere klare Stimme ein, so jung und so uralt wie der Frühling; gleich der Melodie eines fröhlichen Gewässers, das aus einem strahlenden Morgen in den Bergen hinabfließt in die Nacht, strömte sie ihnen wie Silber entgegen:
Jetzt beginnt unser Lied! Lasst uns alle singen
Von Regen, Sonne, Mond und Stern, Tau auf Vogelschwingen,
Wind über freiem Land, trübem Nebelwetter,
Glockenheide, lichtem Grün zarter junger Blätter,
Schilfrohr am dunklen Teich, Lilien auf dem Weiher,
Singt vom Kind der Wasserfrau und Tom, dem treuen Freier!
Und mit diesem Lied standen die Hobbits auf der Schwelle, und ein goldenes Licht hüllte sie ein.
SIEBENTES KAPITEL
IN TOM BOMBADILS HAUS
D ie vier Hobbits traten über die breite Steinschwelle und blieben blinzelnd stehen. Sie befanden sich in einem langen, niedrigen Raum, erleuchtet von Lampen, die von den Dachbalken herabhingen; und auf einem Tisch aus dunklem, poliertem Holz standen viele hohe gelbe Kerzen, die hell brannten.
In einem Stuhl an der Rückwand des Raumes gegenüber der Eingangstür saß eine Frau. Ihr langes goldblondes Haar wallte ihr über die Schultern; ihr Gewand war grün, grün wie junges Schilf, durchwirkt mit Silber wie Tauperlen; und ihr Gürtel war aus Gold, geformt wie eine Kette aus Schwertlilien und besetzt mit blassblauen Vergissmeinnichtknospen. Zu ihren Füßen standen große Schalen aus grünem und braunem Steingut, in denen Wasserlilien schwammen, sodass es aussah, als throne sie inmitten eines Teiches.
»Tretet ein, liebe Gäste«, sagte sie, und als sie sprach, wussten die Hobbits, dass es ihre klare Stimme gewesen war, die sie hatten singen hören. Sie kamen schüchtern ein paar Schritte weiter in den Raum und verbeugten sich tief, und sie waren ebenso überrascht und verlegen wie Leute, die an einem Bauernhaus klopfen, weil sie um einen Schluck Wasser bitten wollen, und denen eine schöne junge Elbenkönigin in einem Gewand aus lebenden Blumen die Tür öffnet. Aber ehe sie etwas sagen konnten, sprang die Frau leichtfüßig auf und über die Lilienschalen hinweg und lief lachend auf sie zu; und dabei raschelte ihr Gewand leise wie der Wind an den blühenden Ufern eines Flusses.
»Kommt, liebe Leute!«, sagte sie und nahm Frodo bei der Hand. »Lacht und seid fröhlich! Ich bin Goldbeere, Tochter des Flusses.« Dann ging sie an ihnen vorbei, schloss die Tür, wandte sich um und breitete ihre weißen Arme aus. »Lasst uns die Nacht aussperren!«, sagte sie. »Denn vielleicht fürchtet ihr euch immer noch vor Nebel und Baumschatten und tiefem Wasser und bösen Wesen. Fürchtet euch nicht! Denn heute Nacht seid ihr unter Tom Bombadils Dach.«
Die Hobbits sahen sie voll Staunen an, und sie schaute jeden von ihnen an und lächelte. »Schöne Frau Goldbeere!«, sagte Frodo schließlich und fühlte eine
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