Der Herr der Ringe
aufsteigen; in seinem schwachen Schein erblickte er eine schwarze Felswand, die vor ihm aufragte, durchbrochen von einem dunklen Bogen wie ein großes Tor. Frodo war, als werde er emporgehoben, und während er hinüberglitt, sah er, dass die Felswand zu einem Kranz von Bergen gehörte, die eine Ebene umschlossen, und in der Mitte der Ebene stieg eine Felszinne auf wie ein großer Turm, aber nicht von Händen erbaut. Auf ihrer Spitze stand die Gestalt eines Mannes. Der aufgehende Mond schien einen Augenblick über seinem Kopf zu hängen und schimmerte in seinem weißen Haar, das der Wind bewegte. Aus der dunklen Ebene tief unten drang das Geschrei grausiger Stimmen herauf und das Heulen vieler Wölfe. Plötzlich zog ein Schatten, geformt wie große Flügel, über den Mond. Der Mann hob die Arme, und ein Blitz zuckte an dem Stab, den er schwenkte. Ein mächtiger Adler stieß herab und trug ihn davon. Die Stimmen klagten, und die Wölfe winselten. Es hörte sich an, als ob ein starker Wind wehe, und er trug das Geräusch von Hufen herüber, die von Osten heranritten. »Schwarze Reiter!«, dachte Frodo, als er aufwachte und im Geist noch das Geräusch der Hufe hörte. Er fragte sich, ob er jemals wieder den Mut haben würde, die Sicherheit dieser Steinmauern zu verlassen. Reglos lag er da und lauschte immer noch; aber alles war jetzt still, und schließlich drehte er sich um und schlief wieder fest ein oder sank in einen anderen Traum, an den er sich nicht erinnerte.
An seiner Seite lag Pippin und träumte etwas Schönes; aber seine Träume veränderten sich, und er warf sich hin und her und stöhnte. Plötzlich wachte er auf oder glaubte, er sei aufgewacht, und doch hörte er in der Dunkelheit noch das Geräusch, das ihn im Traum verfolgt hatte: tipp-tapp, quietsch. Es klang, als ob sich Äste im Wind reiben oder Zweige an Wand und Fenster scharren: knarr, knarr, knarr. Er fragte sich, ob dicht am Haus Weiden stünden;und dann plötzlich hatte er das entsetzliche Gefühl, dass er gar nicht in einem richtigen Haus sei, sondern in der Weide, und dass er wieder diese schreckliche, trockene, krächzende Stimme höre, die ihn auslachte. Er setzte sich auf, fühlte, wie die weichen Kissen unter seiner Hand nachgaben, und legte sich erleichtert wieder hin. Er glaubte, das Echo von Worten zu vernehmen: »Fürchtet euch nicht! Habt Frieden bis zum Morgen! Kümmert euch nicht um nächtliche Geräusche!« Dann schlief er wieder ein.
Es war das Geräusch von Wasser, das Merry hörte, als er in ruhigen Schlaf fiel: Wasser, das sanft herabströmte und sich dann ausbreitete, sich unwiderstehlich im ganzen Haus zu einem dunklen uferlosen Pfuhl ausbreitete. Es gurgelte unter den Wänden und stieg langsam, aber stetig. »Ich werde ertrinken«, dachte er. »Es wird den Weg hereinfinden, und dann werde ich ertrinken.« Er hatte das Gefühl, als läge er in einem weichen, glitschigen Moor; er sprang auf und setzte seinen Fuß auf kalte, harte Fliesen. Da erinnerte er sich, wo er war, und legte sich wieder hin. Er schien zu hören oder sich zu erinnern: »Denn nichts dringt hier durch Tür und Fenster als Mondschein und Sternenlicht und der Wind vom Bergesgipfel.« Ein schwacher Lufthauch bewegte den Vorhang. Er atmete tief und schlief wieder ein.
Soweit Sam sich erinnern konnte, hatte er die ganze Nacht selig wie ein Murmeltier geschlafen, falls Murmeltiere selig schlafen.
Sie wachten, alle vier zugleich, im Morgenlicht auf. Tom ging im Zimmer umher und pfiff wie ein Star. Als er hörte, dass sie sich rührten, klatschte er in die Hände und rief: »He! Kommt, Dongelong, Kameraden!« Er zog die gelben Vorhänge auf, und die Hobbits sahen, dass sie die Fenster an den beiden Seiten des Zimmers verdeckt hatten, eins ging nach Osten und das andere nach Westen.
Erfrischt sprangen sie auf. Frodo lief an das Ostfenster und blickte hinaus in einen Gemüsegarten, grau von Tau. Er hatte halb erwartet, dass der Rasen bis zu den Wänden reichen und mit Hufspuren übersät sein würde. In Wirklichkeit war ihm die Aussicht durch eine Reihe hoher Stangenbohnen versperrt; über und weit hinter ihnen hob sich indes der graue Gipfel des Berges vor dem Sonnenaufgang ab. Es war ein fahler Morgen: Hinter langgezogenen Wolken, die wie Strähnen schmutziger Wolle mit roten Flecken in den Rändern aussahen, lagen im Osten schimmernde gelbe Flächen. Der Himmel versprach Regen; aber das Licht breitete sich rasch aus, und gegen die nassen grünen Blätter
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