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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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gestiegenen Arbeitsaufkommens galt es aber inzwischen als aussichtsreicher, bei Benito Mussolini eine Einladung zu einer Schachpartie zu bekommen, als eine Audienz beim Podestà Nettunias.
    Zu den wenigen Auserwählten, auf die das nicht zutraf, ge-hörte der neue Stadtmechaniker. Er genoss Manzinis Dankbarkeit, und sie schien sogar echt zu sein. Dieser Umstand beschwor bei Nico emotionale Unwetter von nicht geringer Stärke herauf, weil in ihm immer öfter Sympathie für einen Menschen aufblitzte, den er nach allen Regeln der Kunst hassen sollte.
    Als Belohnung für die Rettung Mariannas hatte ihr Vater ihm nicht nur die Anstellung in der Gemeinde verschafft, sondern ihm dazu noch ein gebrauchtes weißes Motorrad geschenkt. So konnte er bei technischen Notfällen innerhalb weniger Minuten fast an jedem beliebigen Ort in seinem Zuständigkeitsbereich sein, der bereits das gesamte Stadtgebiet des zukünftigen Verwaltungs-bezirks Nettunia umfasste. Das Benzin zahlte sogar die Gemeinde, was infolge der wirtschaftlichen Notlage, die Italiens Feldzug in Abessinien sowie das Engagement im Spanischen Bürgerkrieg heraufbeschworen hatte, auch vonnöten war. Aus leicht nachvoll-ziehbaren Gründen nannte er sein Kraftrad Albino. Es sollte ihm ein zuverlässiger Gefährte werden, fast wie ein treues Pferd.
    Im Verlauf des neuen Jahres hatte Nico sich nicht nur beim Stadtvorsteher den Ruf eines verlässlichen Mannes erworben, der jeden freundlich behandelte und bescheiden abwiegelte, wenn man von ihm viel Aufhebens machte. Seine erstaunliche Fähigkeit, kranke Apparate zu kurieren, ließ ihn von Tag zu Tag weiter im Ansehen der Menschen steigen.
    Bruno machte da insofern eine Ausnahme, als er seinen Freund der Kungelei mit den Faschisten bezichtigte und ihn auf die Straße setzte. Eine knappe Woche verbrachte Nico in einem Hotel, dem Albergo Sangallo della Posta, was ihn einen nicht unerheblichen 123
    Teil seiner Ersparnisse kostete. Auf Vermittlung des Podestà bezog er hierauf eine Mansardenwohnung an einer kleinen Piazza, die wie ein Wurmfortsatz am südlichen Ende des großen, nach König Umberto I. benannten Platzes hing. Der Vormieter hatte knapp zwei Jahre zuvor das Zeitliche gesegnet, als ihm ein republikani-scher Heckenschütze beim spanischen Guadalajara im Eifer des Gefechts das linke Auge ausschoss. Abgesehen von den beengten Verhältnissen hatte die Dachgeschosswohnung einen großen
    Nachteil: Aus dem Fenster konnte Nico jenseits des Platzes und der Einmündung zur Via Vespucci sein Geburtshaus sehen. Weil er seine Kammer aber fast nur zum Schlafen aufsuchte, ließ sich dieser Makel für ihn verschmerzen.
    Durch das neue Aufgabengebiet kam er viel herum, was sich für seine Nachforschungen als sehr nützlich erwies. Allerdings mied er die vertrautesten Personen und Orte seiner Kindheit.
    Dazu zählte vor allem der kleine Kreis von Mitgläubigen in Anzio und Nettuno. Noch kurz vor dem Tod seines Vaters hatte er mit ihnen seine Bar-Mizwa gefeiert, die ihn zu einem mündigen Mitglied der Gemeinde machte. Die Gefahr, erkannt zu werden, war einfach zu groß. Auch vom Forte Sangallo, der wuchtigen Festung am Rande der Altstadt, hielt er sich fern. Immer noch lebte darin Baron Alberto Fassini Camossi mit seinem Faktotum Donatello, die er und Bruno am Abend der schrecklichen Bluttat besucht hatten. Abgesehen von seinem besten Freund wären der Kunstmäzen und dessen Leibdiener wohl am besten dafür geeignet, Il Tedesco, den falschen Deutschen, zu entlarven.
    Trotz dieser punktuellen Zurückhaltung lernte Nico so gut wie täglich neue Leute kennen, und nicht wenige von ihnen fühlten sich ihm bald verpflichtet. Wenn hier mal eine Uhr nicht richtig tickte oder sich da ein Türschloss allzu widerspenstig gab, dann fragte man einfach Niklas Michel, der dank seiner neuen Beweglichkeit scheinbar immer irgendwo in der Nähe war. Merkwürdigerweise tat er meist nicht viel – jedenfalls kaum etwas, das sich mit bloßem Auge als besonders hilfreich erkennen ließ –, um die störrischen Apparate wieder zum Gehorsam zu bewegen. Er 124
    redete ihnen freundlich zu, summte ihnen meist etwas vor und streichelte sie gelegentlich – das war auch schon alles. Bei den Bewohnern von Nettuno, Anzio und der näheren Umgebung hieß es voller Respekt, er sei »der Leblosen Liebling«.
    Nico hätte sich viel mehr gewünscht, Lauras Liebster zu
    sein, aber ausgerechnet bei ihr biss er auf Granit. Sogar ihr Vater brachte seinem Doctor Mechanicae

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