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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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was ihre Propheten, Erlöser oder Gurus nun tatsächlich gesagt oder getan haben. Und erst recht wird es ihnen nicht gelingen, uns den »Sinn« späterer Entdeckungen und Entwicklungen zu erklären, die ihre Religionen zunächst behindert oder verleugnet haben. Trotzdem beharren die Gläubigen noch immer auf ihrem Wissen! Ja, sie bestehen darauf, über ein allumfassendes Wissen zu verfügen. Sie wollen nicht nur wissen, dass Gott existiert und dass er den ganzen Laden schuf und beaufsichtigte, sondern auch, was »er« von uns verlangt – von der Ernährung über religiöse Riten bis hin zur Sexualmoral. Anders ausgedrückt: Im Rahmen eines enormen und komplizierten Diskurses, in dem wir immer mehr über immer weniger wissen, der uns jedoch die eine oder andere erhellende Erkenntnis verspricht, will uns eine Gruppe – die ihrerseits aus widerstreitenden Gruppen besteht – in ihrer schieren Arroganz weismachen, dass sie bereits über alle wichtigen und nötigen Informationen verfügt Diese Dummheit, gekoppelt mit solcher Überheblichkeit, sollte für sich schon ausreichen, den »Glauben« aus der Debatte auszuschließen. Wer alles weiß und für seine Gewissheit göttliche Rechtfertigung in Anspruch nimmt, hat seinen Platz in den Anfängen unserer Spezies. Es mag ein langer Abschied werden, doch er hat schon begonnen und sollte wie jeder Abschied nicht unnötig in die Länge gezogen werden.
    Wer mich kennenlernt, vermutet vielleicht nicht unbedingt, dass ich so denke. Ich habe wohl länger mit gläubigen Freunden zusammengesessen als mit anderen. Mich ärgert manchmal, dass diese Freunde mich gern einen »Suchenden« nennen, was ich nicht bin, oder jedenfalls nicht in dem Sinne, wie sie es meinen. Wenn ich nach Devon zurückkehrte, wo Mrs. Watts in ihrem einsamen Grabe ruht, so würde ich mich sicher still und leise in die hinterste Reihe einer alten keltischen oder sächsischen Kirche setzen; Philip Larkins wunderschönes Gedicht »Kirchgang« (»Churchgoing«) fängt genau diese Stimmung ein. Als ich ein Buch über George Orwell schrieb – der, wenn ich Helden hätte, mein Held sein könnte –, war ich entsetzt, wie ungerührt er die katalonischen Kirchenverbrennungen im Jahr 1936 hinnahm. Sophokles stellte lange vor dem Aufstieg des Monotheismus Antigones Auflehnung gegen die Entweihung als Eintreten für die Menschlichkeit dar. Ich überlasse es den Gläubigen, sich gegenseitig die Kirchen, Moscheen und Synagogen niederzubrennen, was sie immer wieder zuverlässig tun. Bevor ich eine Moschee betrete, ziehe ich mir die Schuhe aus. Wenn ich in die Synagoge gehe, bedecke ich mein Haupt. Ich habe mich sogar schon der Etikette eines indischen Aschrams gebeugt, was mir allerdings wahrlich nicht leichtfiel. Meine Eltern haben nie versucht, mir eine Religion aufzuzwingen; wahrscheinlich hatte ich Glück mit meinem Vater, der unter seiner strengen baptistisch-calvinistischen Erziehung gelitten hatte, und meiner Mutter, die dem Judaismus ihrer Vorfahren – zum Teil auch mir zuliebe – die Assimilation vorzog. Heute weiß ich genug über alle Religionen, um mir darüber im Klaren zu sein, dass ich zu allen Zeiten und überall ein Ungläubiger wäre. Mein spezieller Atheismus ist jedoch ein protestantischer Atheismus. Die herrliche Liturgie der King-James-Bibel und Cranmers Book of Common Prayer – die von der anglikanischen Kirche törichterweise abgeschafft wurde – hat meinen Widerspruch zuerst geweckt. Als mein Vater starb und bei einer Kapelle oberhalb von Portsmouth bestattet wurde – der gleichen, in der General Eisenhower in der Nacht vor dem D-Day 1944 gebetet hatte –, wählte ich für meine Ansprache von der Kanzel einen Vers aus dem Brief des Saulus von Tharsus, später als »heiliger Paulus« von der Kirche beansprucht, an die Philipper aus (4,8):
    Weiter, liebe Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denket nach!
    Ich wählte diese Bibelstelle wegen ihres sehnsüchtigen und flüchtigen Tons, der mich noch in meiner letzten Stunde begleiten wird, wegen des im Grunde säkularen Charakters ihrer Worte und weil sie herausragt aus einer Wüste aus leerem Geschwätz und Gejammer, Aberwitz und Angstmache.
    Die Auseinandersetzung mit dem Glauben ist das Fundament und der Ursprung aller Auseinandersetzungen, weil sie am Anfang – aber durchaus nicht am Ende – aller Dispute über Philosophie,

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