Ein Hippie-Traum
1. Kapitel
1. Kapitel
Broken Arrow Ranch, Frühjahr 2011: Die Familie Young – Vater Neil, Mutter Pegi und die Kinder Amber und Ben
I ch zog das Klebeband von der Pappschachtel. Um meine Füße verteilt lag das Geschenkpapier. Ben sah vom Rollstuhl aus zu, Amber und Pegi saßen rechts und links von mir. Vorsichtig hob ich den schweren Inhalt aus der Schachtel. Er war noch einmal extra in Geschenkpapier und in eine Schicht aus fünf Millimeter dicker Schaumstofffolie gewickelt: eine Rangierlokomotive mit handgemalten Lionel-Schriftzügen. Aber seltsam, es war keine herkömmliche Lionel. Es musste eine Art Prototyp sein. In der Schachtel lag auch ein maschinengeschriebenes Dokument von Lenny Carparelli, einem der unzähligen Italoamerikaner, die in irgendeiner Weise mit der Geschichte von Lionel verbunden sind. Ich halte immer noch einen kleinen Anteil an dem Unternehmen. Ich las das Schreiben. Das Modell stammte von der General Models Corporation. Es war eine wunderschöne Rangierlokomotive und tatsächlich der Prototyp, nach dem Lionel sein eigenes Modell entworfen hatte. Wie aus dem Brief hervorging, geschah das zu einer Zeit, als Unternehmensklagen und Betriebsgeheimnisse noch nicht in die letzten Winkel von Kreativität und Design eingedrungen waren.
Pegi schenkt mir immer Lionel-Sammlerstücke zu Weihnachten, und ich besitze inzwischen eine umfangreiche Raritätensammlung, die ich neben meiner riesigen Eisenbahnlandschaft stolz in Glasvitrinen präsentiere. Es ist keine normale Eisenbahnlandschaft: Redwood-Stümpfe stellen die Berge dar und Moos die Wiesen. Die Eisenbahn macht gerade harte Zeiten durch. Es ist alles vertrocknet. Die Gleisarbeiten, für die früher in meiner Fantasie Trupps unermüdlich schuftender chinesischer Arbeiter zuständig waren, ruhen vollständig. Heute rollen teure, bis ins kleinste Detail wirklichkeitsgetreue Lionel-Dampflokomotiven aus China über meine Schienen. Meine Eisenbahn ist selbst eine historische Anlage, denn hier wurden in vielen Entwicklungsschritten Lionels elektronische Zugsteuerungs- und Audiosysteme von Grund auf konzipiert und gebaut, sodann die Prototypen getestet und die Software geschrieben, erprobt, umgeschrieben und erneut getestet. Es war eine irre Zeit. Alles begann mit Ben Young.
Ben kam mit Tetraplegie zur Welt, und ich hatte damals gerade meine Liebe zu Modelleisenbahnen wiederentdeckt, die mir schon als Kind Spaß gemacht hatten. Für Ben und mich war der Bau der Eisenbahnlandschaft ein tolles Erlebnis und eine unserer glücklichsten gemeinsamen Zeiten. Ben lag noch in der Wiege, als die »chinesischen Arbeiter« zu Tausenden Tag und Nacht in endloser Schufterei die Gleise verlegten. Er sah uns beim Arbeiten zu. Nach Monaten war es dann endlich so weit – die ersten Züge konnten fahren, und später dachte ich mir ein Bediensystem aus, das mithilfe eines großen roten Knopfs funktionierte, den Ben mit der Hand betätigen konnte. Das war zwar ungeheuer aufwendig, aber es gab ihm sehr viel, das Zusammenspiel von Ursache und Wirkung direkt vor sich zu sehen. Es stärkte Ben.
Aber das ist jetzt dreiunddreißig Jahre her, und nun stehe ich hier mit einer Flasche Glasreiniger und putze die Türen der Vitrinen, in denen ich für jedermann sichtbar meine kostbaren Lionel-Besitztümer hüte. Nicht dass irgendjemand je hierher käme. Die Besucher lassen sich an einer Hand abzählen. Eigentlich bedauerlich, wenn man bedenkt, wie viel Zeit und Mühe in die Anlage fließen. Die ganze Anlage und ihre Streckenführung vermitteln eineArt Zen-Erfahrung. Durch sie kann ich das Chaos, die Songs, die Menschen und die Gefühle aus meiner Kindheit sortieren, die mich noch heute verfolgen. Nicht auf negative Art und Weise, aber auch nicht auf vollkommen positive. Manchmal stapeln sich monatelang überall Kisten, und auf entgleisten Zügen sammelt sich der Staub. Auf wundersame Weise tauche ich dann wieder auf, putze und räume, arbeite stundenlang an jedem kleinen Detail, damit alles wieder perfekt läuft. Offenbar setzt das zeitgleich andere kreative Prozesse in Gang.
Eines Tages bekam ich in meinem Eisenbahnschuppen Besuch von David Crosby und Graham Nash, während der Aufnahme von American Dream , die zum Großteil auf meiner Ranch in Plywood Digital entstand, einer zum Aufnahmestudio umgebauten Scheune. Draußen stand ein Lkw voller Aufnahmetechnik, und wir arbeiteten an mehreren neuen Songs. Es war für uns alle aufregend, wieder zusammen zu spielen. Crosby war erst
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