Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
der Suche nach Wahrheit und Schönheit. Vorausgesetzt, wir betreiben unsere Studien ernsthaft, begegnen wir bei manchen dieser Ausflüge zum Bücherregal, ins Restaurant oder in die Kunstausstellung freilich dem Glauben und Gläubigen – von den großen frommen Malern und Komponisten bis hin zu den bedeutenden Werken des Augustinus, des Thomas von Aquin, des Moses Maimonides und des John Henry Newman. Großartige Gelehrte wie diese haben allerlei Bösartiges und Dummes von sich gegeben und lächerlich wenig über die Keimtheorie bei der Krankheitsübertragung oder die Stellung der Erdkugel im Sonnensystem und erst recht im Universum gewusst; eben aus diesem Grunde gibt es ihresgleichen heutzutage nicht mehr, und es wird sie auch morgen nicht geben. Die letzten verständlichen, edlen oder inspirierenden Worte vonseiten der Religion liegen entweder sehr lange zurück, oder aber sie sind zu einem bewundernswerten, aber nebulösen Humanismus mutiert wie etwa bei Dietrich Bonhoeffer, einem mutigen evangelischen Pastor, der vom NS-Staat, mit dem er sich nicht arrangieren wollte, gehenkt wurde. Wir begegnen keinen Propheten oder Weisen mehr wie in der Antike. Deshalb sind die heutigen Gebete nur mehr ein Echo der gestrigen, bisweilen hochgeschraubt zu einem Kreischen, das die schreckliche Leere fernhalten soll.
Manch religiöse Apologie ist auf ihre beschränkte Art fantastisch – hier sei Pascal erwähnt –, andere sind langweilig und absurd – hier muss C.S. Lewis genannt werden –, doch beide Kategorien haben eines gemeinsam: ihre entsetzliche Angestrengtheit. Wie viel Mühe sie darauf verwenden müssen, das Unglaubliche zu beteuern! Die Azteken mussten täglich einen menschlichen Brustkorb öffnen, um sicherzustellen, dass am nächsten Tag die Sonne aufging. Monotheisten sollen ihre Gottheit sogar noch öfter belästigen – vielleicht für den Fall, dass sie taub ist. Wie viel Eitelkeit verbirgt sich, mehr schlecht als recht, hinter dem Anspruch, Gegenstand eines göttlichen Plans zu sein? Wie viel Selbstachtung muss man opfern, um sich permanent im Bewusstsein der eigenen Sünde zu suhlen? Wie viele Täuschungen und Verrenkungen sind nötig, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse so zu manipulieren, dass sie zu Offenbarungen von Gottheiten »passen«, die vor langer Zeit von Menschen geschaffen wurden? Wie vieler Heiliger, Wunder, Konzile und Konklaven bedarf es, um ein Dogma zunächst aufzustellen und es dann – nachdem in seinem Namen unermessliche Schmerzen und Verluste ertragen, absurde Grausamkeiten verübt wurden – für ungültig erklären zu müssen? Gott hat den Menschen nicht nach seinem Vorbild geschaffen. Ganz offensichtlich war es genau umgekehrt, was die Vielfalt der Götter und Religionen ebenso mühelos erklärt wie den Brudermord, der zwischen und innerhalb von Religionen zu beobachten ist und die Fortentwicklung der Zivilisation so behindert.
Religiöse Gräueltaten der Vergangenheit und der Gegenwart erklären sich nicht daraus, dass wir böse sind, sondern daraus, dass die menschliche Spezies von Natur aus nur teilweise rational ist. Die Evolution bringt es mit sich, dass der präfrontale Kortex bei uns zu klein, die Adrenalindrüsen zu groß und die Sexualorgane schlampig konstruiert sind – Defizite, die einzeln oder in Kombination unweigerlich Unglück und Chaos heraufbeschwören. Dennoch: Wie anders stellt sich die Sache dar, wenn wir die angestrengten Gläubigen beiseitelassen und uns der nicht weniger mühsamen Arbeit eines, sagen wir, Darwin, eines Hawking oder eines Crick zuwenden. Diese Leute sind selbst dann, wenn sie sich täuschen oder – was unvermeidbar ist – einem Vorurteil aufsitzen, noch erhellender als jeder ach so bescheidene Vertreter des Glaubens, der vergeblich die Quadratur des Kreises versucht, indem er erklärt, dass er, eine bloße Kreatur des Schöpfers, in die Absichten dieses Schöpfers eingeweiht ist. In Fragen der Ästhetik kann keine völlige Einigkeit herrschen, doch wir säkularen Humanisten, Atheisten und Agnostiker wollen die Menschheit durchaus nicht all ihrer Wunder und Tröstungen berauben. Nicht im Geringsten. Die komplexen Aufnahmen des Hubble-Raumteleskops sind eindrucksvoller, rätselhafter und schöner, aber auch chaotischer, übermächtiger und beängstigender als jeder Schöpfungsmythos und jede Endzeitvision. Wer einmal Hawkings Ausführungen zum »Ereignishorizont« gelesen hat, jenem theoretischen Rand eines schwarzen Loches, hinter dem
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