Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet
Schwiegereltern zuliebe in die Kirche ein. Der Erzbischof, der mich am Tag meiner Trauung auch gleichzeitig in seine Gemeinde aufnahm und somit gleich die doppelte Gebühr einsackte, unterstützte später seine orthodoxen Glaubensbrüder, die serbischen Massenmörder Radovan Karadžić und Ratko Mladić, die in ganz Bosnien zahllose Massengräber füllten, leidenschaftlich mit Beifallsbezeugungen und Geldspenden. Meine nächste Heirat wurde von einem reformjüdischen Rabbi mit einer Vorliebe für Einstein und Shakespeare vorgenommen, mit dem ich etwas mehr gemeinsam hatte. Doch auch er war sich bewusst, dass seine Homosexualität von den Gründern seiner Religion als Kapitalverbrechen verdammt wurde, das mit dem Tod durch Steinigung zu ahnden war. Die anglikanische Kirche wiederum, in der ich einst getauft wurde, mag heute in einem bedauernswerten Zustand sein. Doch weil der Staat sie immer finanziell unterstützt hat und sie traditionell ein enges Verhältnis zur Erbmonarchie pflegt, trägt sie eine schwere historische Verantwortung für die Kreuzzüge, die Verfolgung von Katholiken, Juden und Dissentern sowie den Kampf gegen die Naturwissenschaften und die Vernunft.
Generell gibt sich die Religion nicht mit ihren wunderbaren Behauptungen und erhabenen Versprechungen zufrieden und kann es auf lange Sicht auch nicht, wobei sie je nach Ort und Zeit mehr oder weniger Energie aufwendet. Sie muss versuchen, sich in das Leben der Nichtgläubigen, Häretiker oder Anhänger anderer Glaubensrichtungen einzumischen. Sie redet über die Glückseligkeit im Jenseits, will aber die Macht im Diesseits. Das ist nicht anders zu erwarten – immerhin wurde sie von Menschen geschaffen. Zudem fehlt es ihr am Zutrauen in die eigenen Lehren, sodass sie nicht einmal die Koexistenz verschiedener Glaubensrichtungen zulassen kann.
Nehmen wir zum Beispiel eine der beliebtesten Persönlichkeiten, welche die Religion in der Moderne hervorgebracht hat. Im Jahr 1996 wurde in der Republik Irland eine Volksabstimmung zu der Frage abgehalten, ob die staatliche Verfassung die Scheidung weiterhin verbieten solle. Die meisten politischen Parteien des zunehmend säkularen Landes drängten die Wähler, einer Verfassungsänderung zuzustimmen. Dafür hatten sie zwei triftige Gründe: Erstens hielt man es nicht mehr für rechtens, dass die römisch-katholische Kirche ihre Moralvorstellungen allen Bürgern auferlegte, und zweitens stand eine irische Wiedervereinigung völlig außer Frage, solange die große protestantische Minderheit im Norden eine mögliche Herrschaft des katholischen Klerus vor Augen hatte. Aus dem fernen Kalkutta reiste nun Mutter Teresa an, um gemeinsam mit der Kirche und ihren Hardlinern Wahlkampf für ein Nein zur Scheidung zu betreiben. Eine irische Frau, die mit einem prügelnden und inzestuösen Trinker verheiratet war, sollte sich also keine Hoffnung auf ein besseres Leben machen und würde sogar ihr Seelenheil gefährden, wenn sie sich um einen Neuanfang bemühte, wohingegen die Protestanten sich aussuchen durften, ob sie den Segen Roms haben oder dem Land gleich fernbleiben wollten. Die Möglichkeit, dass die Katholiken den Geboten ihrer Kirche Folge leisteten, ohne dass diese auch allen anderen Bürgern aufoktroyiert wurden, wurde nicht einmal angedacht. All das geschah auf den Britischen Inseln im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Die Volksabstimmung führte am Ende zu einer Verfassungsänderung, allerdings mit einer äußerst knappen Mehrheit. Im gleichen Jahr sagte Mutter Teresa übrigens in einem Interview, sie hoffe, dass ihre Freundin Prinzessin Diana glücklicher sein werde, wenn sie ihrer offensichtlich elenden Ehe erst entflohen war, aber es ist ja nichts Neues, dass die Kirche den Armen strenge Gesetze auferlegt, während sie bei den Reichen Nachsicht walten lässt. [FUSSNOTE3]
Eine Woche vor dem 11. September 2001 nahm ich an einer Podiumsdiskussion mit Dennis Prager teil, der in Amerika als Moderator religiöser Radiosendungen recht bekannt ist. Als er mich aufforderte, eine, wie er sich ausdrückte, »direkte Frage mit Ja oder Nein« zu beantworten, erklärte ich mich gern dazu bereit. Also gut, sagte er. Ich solle mir vorstellen, ich befinde mich in einer mir fremden Stadt, und die Nacht breche herein. Ich sähe mehrere Männer auf mich zukommen. Würde ich mich sicherer fühlen oder weniger sicher, wenn ich wüsste, dass sie gerade aus einer Gebetsversammlung kämen? Meinen Lesern fällt natürlich
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