Der Herr von Moor House
Megan, eine Gästeliste für die Dinnerparty aufzustellen, und setzte sich hinter den Schreibtisch. Wenig später klopfte es an der Tür. Die Haushälterin trat ein. Eigentlich hatte Megan geplant, die Frau an die Cousine des Hausherrn zu verweisen, da sie selbst nur ein Gast war. Aber wie ihr das unglückliche Gesicht der armen Mrs Goss verriet, ging es wohl kaum um fadenscheinige Bettlaken, die ersetzt werden mussten. “Störe ich Sie, Miss Meggie?”
“Natürlich nicht.” Einladend zeigte Megan auf den Sessel vor dem Tisch. “Betsy hat mir erklärt, ich soll mit Ihnen den Inhalt des Wäscheschranks durchsehen.”
“Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar, Miss. Während der letzten Wochen hat Master Giles mit seiner Beinschiene mehrere Leintücher ruiniert. Aber ich wollte Sie wegen einer anderen Sache sprechen.” Bekümmert starrte sie auf ihre knotigen, abgearbeiteten Hände hinab. “Allmählich müsste ich in den Ruhestand treten. Das hätte ich schon vor Jahren tun sollen – und ich war auch dazu entschlossen, als der alte Master starb. Diesen Zeitpunkt fand ich richtig, weil eine neue Herrin im Haus war. Aber …” Sie hob die schmalen Schultern. “In den ersten Monaten ließ sie sich kaum hier blicken. Dann erwartete sie ein Kind, und ich mochte sie nicht mit meinen Problemen belasten. Und nach dem schrecklichen Unfall konnte ich den jungen Master natürlich nicht im Stich lassen – wo doch diese schlimmen Gerüchte aufkamen.”
“Ihre Loyalität macht Ihnen alle Ehre, Gossie”, erwiderte Megan sanft.
“Hier hat keiner, der den Master kennt, dran geglaubt. Trotzdem verbreiteten sich die Klatschgeschichten. Was damals wirklich geschah, weiß ich nicht. Niemand außer Miss Mosley hat es gesehen.”
“Miss Mosley?” wiederholte Megan, die diesen Namen zum ersten Mal hörte.
“Mrs Blackmores Zofe. Sie kam gerade aus dem Schlafgemach, sah ihre Herrin die Stufen hinabfallen und den Master am Treppenabsatz stehen. Offenbar konnte er den Sturz nicht verhindern.” Traurig schüttelte Mrs Goss den Kopf. “Zuvor hatten die beiden gestritten. Sie passten einfach nicht zueinander, und die unselige Ehe quälte Mr Blackmore genauso wie seine Gemahlin …” Plötzlich lächelte sie. “Nächstes Mal wird er eine bessere Wahl treffen.”
Nächstes Mal …
Wie Hammerschläge hallten die Worte in Megans Ohren wider. Bis zu diesem Augenblick hatte sie die Möglichkeit, Christian könnte noch einmal heiraten, nicht erwogen. “Ja, gewiss. Nun ist er seit sechs Jahren Witwer, und er hat lange genug getrauert.”
“Und lange genug gelitten.” Eindringlich schaute die Haushälterin in Megans Augen. “Wie lange braucht man, um für einen Fehler zu büßen, Miss?” Dann stand sie hastig auf. “Höchste Zeit, dass ich meine Verantwortung einer jüngeren Frau übertrage. Wenn der Master wieder heiratet, soll seine junge Gemahlin einen geordneten Haushalt vorfinden. Das verstehen Sie doch, Miss?”
“Selbstverständlich”, log Megan. Hatte Gossie ihr zu bedeuten versucht, sie solle mit Christian über das Problem reden? Oder versuchte sie ihr etwas anderes mitzuteilen?
Während die Haushälterin leise die Tür hinter sich schloss, betrachtete Megan wieder das Porträt über dem Kamin. Also war Christians Ehe unglücklich gewesen. Er hatte tatsächlich jung gefreit – und es dann leider bereut, ganz entgegen der Behauptung des alten Sprichworts. Aber nach sieben Jahren müsste er mit sich ins Reine gekommen sein. Gossies Worten zufolge hatte er gelitten. Und wenn er nicht um seine Frau getrauert hatte – warum war er dann so verzweifelt gewesen?
Je länger sie darüber nachdachte, desto rätselhafter erschienen ihr die Zusammenhänge. Schließlich konzentrierte sie sich wieder auf die Gästeliste und öffnete die Schublade, in der das Papier verwahrt wurde. Da bemerkte sie, dass etwas fehlte. Vor Kurzem hatte es noch in der Ecke des Schubfachs gelegen. Und plötzlich entsann sie sich, wie Christian einen Gegenstand in seine Tasche gesteckt hatte. Verwundert schüttelte sie den Kopf. Wieso, um alles in der Welt, nahm er ihre Miniatur nach London mit?
9. KAPITEL
Am Sonntag begleitete Giles die Damen zur Kirche. Von Osten her wehte ein kalter Wind über das Land. Doch das unfreundliche Wetter hinderte die Gemeindemitglieder nicht daran, sich nach dem Gottesdienst vor dem Tor zu versammeln und Klatschgeschichten auszutauschen. Natürlich war Christians Schussverletzung das wichtigste
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