Der Herr von Moor House
bestraft werden – obwohl sich sein Groll in Grenzen hielt.
Er musterte Megan, die ihre Besorgnis nicht verhehlte. Wahrscheinlich fand sie das mysteriöse “Verschwinden” ihrer Nichte viel schlimmer als die verschlossene Tür. Nein, die Wahrheit dämmerte ihr noch nicht. Und wenn sie dahinterkam, würde sie dem raffinierten Paar hoffentlich genauso bereitwillig verzeihen wie er.
“Da du hier bist, muss Giles dich über seine vergebliche Fahndung nach Sophie informiert haben”, bemerkte sie und beobachtete, wie er eine Kerze aus der Truhe holte.
“Oh ja. Aber an deiner Stelle würde ich mich nicht aufregen. Inzwischen sitzt sie sicher wohlbehalten im Salon und schaut ins Feuer – was wir auch tun werden, sobald ich das Brennholz entzündet habe. Warum sollten wir es uns nicht gemütlich machen, während wir auf unsere Rettung warten?”
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Seufzend sank sie auf die Rosshaarmatratze. “Wenn wir nicht heimkommen, wird Giles uns sicher suchen.”
Sie nannte Moor House ihr Heim, so selbstverständlich, dass es ihr gar nicht auffiel. Umso glücklicher nahm Christian ihre Worte zur Kenntnis. “Zweifellos weiß er, wo wir sind.”
Wenig später brannte ein kleines Feuer. Megan hielt ihren feuchten Rock vor die tanzenden Flammen. Nachdenklich betrachtete sie die versperrte Tür, und plötzlich erwog sie eine beunruhigende Möglichkeit. “Christian”, begann sie honigsüß, “du hast nicht zufällig den Schlüssel in deiner Tasche versteckt?”
Er hatte sich schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis sie Verdacht schöpfte. Nun wandte er sich von der Truhe ab, deren Inhalt er inspiziert hatte, und schaute herausfordernd in Megans Augen. “Nein. Wenn du mir nicht glaubst, kannst du ja eine Leibesvisitation durchführen.”
Dieses Angebot lehnte sie natürlich ab. “Wer sollte uns denn einschließen? Als ich die Abtei erreichte, sah ich niemanden.”
“Du hast selbst gesagt, jemand sei hier gewesen. Schätzungsweise deine Nichte.” Zusammen mit Giles und mehreren Dienstboten aus Moor House, ergänzte er in Gedanken.
“Vielleicht erinnerte sie sich, dass sie die Tür offen gelassen hatte, kehrte zurück und versperrte sie, während wir in der Höhle waren.”
Nein, überlegte er, das muss mein Bruder gewesen sein … Wie er sich jetzt wieder entsann, hatte er vor seiner Ankunft in der Ruine Hufschläge gehört. “Mag sein. Jedenfalls müssen wir in unserer Gefangenschaft nicht verdursten, Liebling.” Eine Flasche und zwei Gläser in den Händen, setzte er sich zu Megan auf die Matratze. “Darf ich dir einen Schluck Rotwein einschenken?”
Sie sah keinen Grund, das Anerbieten abzulehnen. Nachdem sie an ihrem Glas genippt hatte, erwachte ihr Misstrauen von Neuem. “Irgendetwas schmeckt mir daran nicht, Chris.”
“Also, ich finde ihn ausgezeichnet.”
“Ich rede nicht vom Wein!”, erwiderte sie ärgerlich. “Was den betrifft – Sophie wäre sicher nicht auf die Idee gekommen, einen so großen Vorrat für ihre Nachtwache bereitzustellen.”
“Ich auch nicht. Aber da sie ein rücksichtsvolles Mädchen ist, dachte sie an
mein
Wohl. Und ich werde mehrere Flaschen brauchen, um mich zu stärken. Vermutlich auch eine Flasche von meinem besten Brandy.”
“Würdest du deinen gut bestückten Keller vorerst vergessen und dich auf unser Problem konzentrieren?”, bat sie in wachsendem Unmut und sah seine Schultern zucken. Offenbar bekämpfte er einen Lachreiz. “Das ist nicht komisch, Christian!”
“Nein, Liebling, gewiss nicht”, stimmte er zu, um sie nicht noch mehr zu reizen. “Bald wird Giles uns befreien.”
Mit sicherer Hand füllte er die Gläser zum zweiten Mal und vergoss keinen einzigen Tropfen. Trotz der misslichen Lage wirkte er erstaunlich gelassen. Aber er verliert niemals die Fassung, dachte Megan. Immer behielt er einen klaren Kopf und meisterte alle Situationen, sodass man sich in seiner Nähe stets geborgen fühlte. Und wie sie sich eingestehen musste, fand sie seine Gegenwart in diesem Augenblick sehr tröstlich.
Offenbar machte er sich keine Gedanken über die letzte Begegnung – über die Anklage, die Megan ihm ins Gesicht geschleudert hatte. Auch darüber war sie froh. Je weniger zu diesem Thema gesagt wurde, desto besser. Unglücklicherweise war ihre eigene Erinnerung nicht so barmherzig. Wie sollte sie jene Szene jemals vergessen. Vielleicht, überlegte sie, ist dies der richtige Moment, um ihm mitzuteilen, dass ich am
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