Der heulende Müller
Stelle erschießen. Piittisjärvi versuchte, seinen Kameraden zu beruhigen, und sagte, er wäre verrückt, wenn er sich jetzt erschie ßen würde.
»Das würde den Herren im Kirchdorf ja gerade gefal len.«
Huttunen dachte über die Worte nach und fand, der Briefträger habe recht.
»Ich brenne die verfluchte Mühle ab, dann ist sie weg!« Er schulterte den Stutzen und machte sich augen
blicklich auf den Weg ins Dorf. Piittisjärvi versuchte, mit ihm Schritt zu halten, fiel aber schon in der Mitte des Pukkosumpfes zurück. Huttunen verschwand im Wald. Piittisjärvi dachte, wenn Huttunen in diesem Zustand im
Kirchdorf erscheine, werde es erst den richtigen Tumult geben. »Noch dazu mit dem Schießeisen…«
Es war Nachmittag, der Sumpfboden bebte und der Schlamm spritzte, als der Einsiedler zur Landstraße rannte. Er kam am Stationsdorf vorbei, ruderte über den Kemifluß und lief quer durch die Wälder nach Suukoski. Unterwegs riß er mit beiden Händen Rindenstücke von den Birken. Schweißgebadet kam er bei der Mühle an. Er riß die zugenagelte Tür auf und stürmte nach oben in die Stube.
Aus dem Holzkasten neben dem Ofen griff er sich ei nen Armvoll trockenes Kleinholz. Mit kräftigen Zügen schnitzte er ein Bündel Späne zurecht. Dann trug er alles nach unten, wo er es zwischen Schrot- und Mehl
steinen zu einem Lagerfeuer aufstapelte. Er schichtete die Scheite fugenweise, steckte Späne und Rindenstücke dazwischen und holte die Streichhölzer aus der Tasche. Er riß ein Streichholz an, war aber so erregt, daß es in seinen vor Wut zitternden Händen erlosch.
Er blickte sich um. In dieser Mühle war alles vertraut und gediegen: die Steine, die Wandbalken, die Kisten, die Mehlbehälter. Sie schienen ihren Herrn und Gebieter um Gnade anzuflehen: nicht verbrennen!
Huttunen unternahm keinen weiteren Versuch. Er sammelte sämtliches Zubehör ein, rückte den Stutzen über der Schulter zurecht und verließ die Mühle. Er band Holz und Späne auf den Gepäckträger seines
Fahrrads und sprang auf den Sattel wie ein Jäger, der zum Angriff stürmt.
»Verflucht, ich brenne das ganze Dorf nieder«, ver kündete er mit dumpfer Stimme. Der Gewehrkolben schlug gegen das Fahrradgestell, als Huttunen ins Zen trum des Kirchdorfes radelte. Viittavaaras Hof sauste vorbei, dann Siponens, dann der Laden. Dort verlang samte Huttunen das Tempo und wollte Tervolas Ge schäftsräume in Flammen aufgehen lassen, fand dann jedoch, die Beute sei zu gering. Sein Zorn verlangte nach größerer Rache. Erst am Spritzenhaus stoppte er. Viel leicht sollte er hier beginnen?
Aber sein Blick wanderte zum Friedhof mit der neuen Kirche, dem mächtigsten Gebäude des Sprengels, und er hatte eine Idee:
»Wenn ich die abbrenne, lernen sie’s endlich!« Er radelte über den Friedhof zum Hauptportal. Um
die Kirche war es still und öde, die Tür war nicht abge schlossen. Huttunen trug Holz und Späne hinein. Er machte sich daran, im Mittelgang unmittelbar vor dem Altar das Lagerfeuer aufzuschichten. Der Gewehrkolben schlug polternd auf die Dielen, als Huttunen sich bei der Arbeit niederkniete, und das Echo hallte durch das weite Kirchenschiff.
Als der Holzstoß fertig war, stand Huttunen auf und tastete in seinen Taschen nach den Streichhölzern. Wütend und rachedurstig sah er sich in der mächtigen Kirche um. Sein Blick fiel auf das Altarbild, das Jesus am Kreuz darstellte. Er drohte dem Gemälde mit der Faust.
»Du bist auch so ein Schlauberger! Warum mußtest du mich zu einem Irren machen?«
Ihm war, als sähe ihm Jesus scharf in die Augen. Der leidende Ausdruck auf dem Gesicht des Erlösers ver wandelte sich erst in Verblüffung, dann in nachsichtige Güte. Er öffnete den Mund und begann zu sprechen. Der gewaltige Kirchenraum hallte wider, als er zum Einsiedler sagte:
»Lästere nicht, Huttunen. Dein Verstand dürfte kei nen nennenswerten Schaden haben. In der Fernakade mie der Volksbildungsgesellschaft hat man dir gute Noten gegeben. Du hast mehr Grips als Viittavaara und Siponen zusammen und viel mehr als der Pastor dieses Sprengels, der immerhin Gelegenheit hatte, seinen Geist durch akademische Studien zu bilden. Ich habe den Mann immer verabscheut, er ist letzten Endes ein nichtssagender Typ, ein widerwärtiger Pfaffe.«
Huttunen lauschte verblüfft. War er nun endgültig geisteskrank, da schon ein Altarbild zu ihm sprach?
Jesus fuhr mit sanfter, aber hörbarer Stimme fort: »Jeder von uns hat
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