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Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb

Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb

Titel: Der Hexer - GK567 - Als der Meister starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene
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hervor und krallte sich in meinen Arm; so fest, daß ich um ein Haar vor Schmerz aufgeschrien hätte. »Der Nebel, Robert!« keuchte er. »Ich muß alles über ihn wissen! Wann ist er aufgekommen, und aus welcher Richtung? Bewegt er sich? Bewegt sich etwas in ihm?«
    Diesmal gelang es mir nicht mehr ganz, mein Erschrecken zu verbergen. »Ich ...«
    »Du hast etwas gesehen«, keuchte Montague. »Bitte, Robert, es ist wichtig, für uns alle, nicht nur für mich. Du hast etwas gesehen, nicht wahr?«
    Ich versuchte meinen Arm loszumachen, aber Montague entwickelte erstaunliche Kräfte. Sein Griff verstärkte sich eher noch.
    »Ich ... bin nicht sicher«, antwortete ich. »Wahrscheinlich war es nur Einbildung. Diese verdammte Seefahrerei macht uns ja alle krank. Wer nach fünfunddreißig Tagen auf diesem Seelenverkäufer nicht anfängt, Gespenster zu sehen, der ist sowieso verrückt.«
    Montague ignorierte meine Worte. »Was hast du gesehen?« fragte er. »Erzähle es mir. Genau!«
    Ich zögerte noch immer, aber plötzlich war es wie damals, in jener ersten Nacht – es war etwas in seinem Blick, das mich einfach zwang, zu reden.
    »Ich ... weiß es selbst nicht genau«, sagte ich stockend. Meine eigene Stimme kam mir wie die eines Fremden vor. »Es war ... nur ein Schatten. Etwas ... Großes und ... Grünes. Vielleicht ein Fisch.«
    Montagues Augen schienen zu brennen. Ich spürte, wie sich seine Fingernägel noch fester in den Stoff meiner Jacke krallten und warmes Blut über meinen Arm lief. Seltsamerweise fühlte ich keinen Schmerz. »Etwas Großes«, wiederholte er. »Überlege genau, Robert – es kann sein, daß unser Leben davon abhängt. Sah es aus wie ein Fangarm? Wie der Arm eines Oktopus?«
    »Es ... könnte sein«, antwortete ich. Montagues Worte erschreckten mich mehr, als ich zugeben wollte. »Aber es war ... größer.« Ich schüttelte den Kopf, atmete hörbar ein und machte meinen Arm mit sanfter Gewalt los. Montagues Augen schienen zu brennen, als er mich anstarrte.
    »Es war nichts«, sagte ich noch einmal. »Bestimmt, Mister Montague. Ich ... dieser verfluchte Nebel macht mich nervös, das ist alles.«
    Er lachte, aber es war ein Laut, der mir einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. »Nein, Robert«, antwortete er. »Das ist nicht alles. Ich ... hatte gehofft, England zu erreichen, ehe sie mich finden, aber ...«
    »Finden?« Ich verstand nichts mehr, aber irgendwie fühlte ich, daß seine Worte mehr waren als die Fieberphantasien eines Kranken. Es geht mir oft so – ich weiß nicht, ob es eine besondere Begabung oder nur Zufall ist, aber ich spüre fast immer, ob mein Gegenüber die Wahrheit sagt oder nicht. Vielleicht war das auch der Grund, aus dem ich Montague vom ersten Augenblick an vertraut hatte.
    »Ich verstehe nicht«, sagte ich hilflos. »Wer soll Sie finden, und was hat das mit dem Nebel zu tun?«
    Er sah mich an, schwieg einen Moment und setzte sich dann ganz auf. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich ihn wieder auf das Bett zurückdrücken sollte, dann tat ich das Gegenteil und half ihm.
    »Ich muß ... mit Bannermann sprechen«, sagte er, »Gib mir meine Kleider, Junge.«
    »Ich kann ihn holen«, widersprach ich. »Es ist kalt an Deck, und ...«
    Montague unterbrach mich mit einem schwachen, aber trotzdem entschiedenen Kopfschütteln. »Ich muß hinauf«, sagte er. »Ich muß ... diesen Nebel sehen. Ich brauche Gewißheit.«
    Gewißheit? Ich begriff überhaupt nichts mehr, aber ich versuchte auch nicht mehr, ihn von seinem Entschluß abzubringen, sondern half ihm, das schweißdurchtränkte Nachthemd auszuziehen und seine normalen Kleider anzulegen. Ich erschrak erneut, als ich ihn ohne Hemd sah – Montague war niemals ein kräftiger Mann gewesen, sondern von zarter, beinahe knabenhafter Statur und dem hellen Teint des Großstadtmenschen, der sein Haus nur verläßt, wenn es unumgänglich ist. Aber jetzt glich er einem wandelnden Skelett. Sein Körper war ausgezehrt. Die Rippen stachen wie dünne blanke Knochen durch seine Haut, und seine Oberarme waren so dünn, daß ich sie mit einer Hand hätte umfassen können. Er hatte kaum die Kraft, Hemd und Hose anzulegen. Bei Gamaschen und Schuhen mußte ich ihm helfen, weil ihm schwindelig wurde, als er sich zu bücken versuchte. Er bot ein Bild des Jammers.
    Trotzdem versuchte ich nicht noch einmal, ihn zu überreden, in der Kabine zu bleiben. Eines hatte ich in den fünfunddreißig Tagen, die ich jetzt mit ihm zusammen war,

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