Der Hexer - NR01 - Das Erbe der Dämonen
zahllosen Waffen unserer Feinde.
Im nachhinein war es mir ein Rätsel, daß ich die Falle nicht erkannt hatte. Irgend jemand – oder etwas – mußte meine übermüdeten Sinne beeinflußt, meine magischen Fähigkeiten blockiert haben.
Erst im Hotel kam mir wirklich zu Bewußtsein, wie knapp ich dem Tode (oder vielleicht Schlimmerem) entronnen war. Wäre Shannon nicht im buchstäblich letzten Moment aufgetaucht, hätte mein geplantes Wiedersehen mit Howard ein vorzeitiges Ende im Grab gefunden.
Ich zog mich rasch um und ging wieder in die Halle hinunter, wo mich Shannon bereits erwartete. Auch er hatte ein Zimmer im gleichen Haus angemietet, und als ich die Treppe hinunterging, stand er an der Rezeption und unterhielt sich mit dem Portier.
Als ich neben ihn trat, brach er mitten im Wort ab, verabschiedete sich von dem verblüfft dreinblickenden Hotelangestellten und deutete zur Straße hinaus.
»Machen wir uns auf den Weg«, sagte er. »Es ist ein gutes Stück bis zur Universität.«
Ich nickte, trat durch die gläserne Schwingtür auf den Bürgersteig hinaus und sah mich neugierig um. Die Stadt war zum Leben erwacht: da und dort hastete jemand gebückt über das Trottoir oder die Straße, ein einzelner Wagen quälte sich knarrend über das ausgefahrene Kopfsteinpflaster, und der Wind trug den klagenden Laut einer Glocke heran.
Trotzdem wirkte der Ort auf schwer zu fassende Weise gelähmt; wie in Angst.
»Haben Sie Ihren Freund gefunden?« erkundigte ich mich, als Shannon ebenfalls aus dem Hotel trat und neben mir stehenblieb.
Shannon verneinte. »Leider nicht. Er hat ein Zimmer hier im Hotel reservieren lassen, scheint aber noch nicht eingetroffen zu sein. Der Portier wußte auch nicht genau, wann er eintreffen würde.«
Ich hatte Mühe, in aller Harmlosigkeit zu nicken. Ich hatte mich unter dem falschen Namen im Hotel eingetragen und auf Shannons neugierige Fragen geantwortet, daß ich aus New York käme und einen Studienfreund hier in Arkham zu besuchen wünschte.
Er hatte mir die Geschichte geglaubt; der näselnde New Yorker Slang, den ich während des größten Teiles meiner Jugend gesprochen hatte, ging mir noch immer glatt von der Zunge. Das magische Erbe meines Vaters hat mich zudem schon immer dazu befähigt, auf Anhieb zu erkennen, ob mich mein Gegenüber belügt oder die Wahrheit spricht. Außerdem besaß ich ein manchmal schier unglaubliches Überzeugungstalent; wohl auch ein Teil meines magischen Erbes.
Howard hatte einmal bemerkt, daß er mich für fähig hielte, mich zum Präsidenten der Vereinigten Staaten hochzuschwindeln. Ich war mir bis zum heutigen Tage nicht sicher, ob seine Worte wirklich so scherzhaft gemeint waren, wie sie geklungen hatten.
Im Moment war ich froh, über diese Gabe zu verfügen. Shannon hatte mir längst nicht alles über sich erzählt, und es interessierte mich doch, ein wenig mehr über einen Mann zu wissen, der behauptete, ein guter Freund von mir zu sein, und dessen Namen und Gesicht ich an diesem Morgen zum ersten Mal gehört und gesehen hatte.
Nebeneinander gingen wir los. Die Sonne war höher gestiegen und brannte auf die Hügel Neu-Englands herab, aber mir war trotzdem kalt. Ich bemerkte, daß auch Shannon die Hände in die Hosentaschen gesteckt hatte und mit angezogenen Schultern und leicht vornüber gebeugt ging, als friere er. Es war, als kröche etwas aus den Schatten heraus in unsere Seelen und ließe sie erstarren. Shannon hob immer wieder den Blick und sah sich rasch und fast gehetzt nach beiden Seiten um. Er wirkte nervös.
»Ist es weit bis zur Universität?« fragte ich; weniger aus wirklicher Neugier, als vielmehr, um überhaupt etwas zu sagen.
»Zwei, drei Meilen«, antwortete Shannon nach kurzem Überlegen. »Jedenfalls sagt das der Portier.« Er grinste. »Hoffentlich ist er nicht so bösartig wie der, an den Sie heute morgen geraten sind, Jeff.«
Ich blickte ihn mit einer Mischung aus Trauer und Betroffenheit an. »Sie glauben mir immer noch nicht, wie?«
Shannon zuckte mit den Achseln. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht«, antwortete er. »Sie sind... seltsam, Jeff. Normalerweise weiß ich immer sofort, mit wem ich es zu tun habe. Bei Ihnen stehe ich vor einem Rätsel.«
»Danke, gleichfalls«, erwiderte ich. »Aber trotzdem – warum lassen wir nicht das alberne Sie? Immerhin haben wir einige Gemeinsamkeiten.«
Shannon nickte. »Gerne, Jeff. Aber trotzdem: Ihre – deine – Geschichte gefällt mir nicht besonders. Wie bist du
Weitere Kostenlose Bücher