Der Hexer - NR10 - Wenn der Stahlwolf erwacht
davon.
Sekunden später erscholl vom Tor her ein ungeheuerliches Krachen und Bersten. Ein greller Blitz zerriß die Nacht, und obgleich das Tor viel zu weit entfernt war, um es wirklich erkennen zu können, sah ich jedes winzige Detail des Schrecklichen, das sich dort abspielte. Die Seele des TIERES raste wie ein schwarzer Blitz aus dem Tor, berührte einen der beiden eisernen Wölfe – und verschwand darin. Und der Stahlwolf erwachte! Sein metallener Körper zuckte. Langsam, wie ein Wesen, das tausend Jahre geschlafen hatte und nur zögernd in die Wirklichkeit zurückfand, füllten sich seine Augen mit Leben. Seine eisernen Flanken bebten, zuckten ein paarmal – und dann hob sich seine Brust zu einem ersten, mühsamen Atemzug.
»Nein! Herr der Welt – nicht das!« Es war Shadows Stimme, die durch den tobenden Wahnsinn drang, der mein Bewußtsein zu verschlingen trachtete. Ich fuhr hoch, drehte mich herum und sah, wie sich ihr Gesicht vor Entsetzen verzerrte. Für Sekunden flackerte ihre Gestalt, und wieder glaubte ich einen gewaltigen, weißen Umriß zu erkennen, gigantische Schwingen, die wie schneeweiße Adlerflügel schlugen... Dann zerplatzte das Bild, und Shadow war wieder sie selbst.
In ihren Augen loderte die Panik, als sie mich ansah. »Was hast du getan«, murmelte sie. »Was... was hast du getan, du... du...«
»Nur das, was ich mußte«, antwortete ich leise.
»Was du mußtest?« Ihre Stimme brach. Sie keuchte, fiel auf die Knie und verbarg für Sekunden das Gesicht in den Händen. Als sie mich wieder ansah, waren ihre Wangen feucht vor Tränen.
»Du Unseliger«, schluchzte sie. »Warum konntest du nicht warten?«
»Worauf?« fragte ich böse. »Daß du die Bestie erweckst?«
»Ich bin gekommen, um sie zu vernichten!« sagte Shadow ruhig. Ihre Tränen versiegten, und plötzlich war ihre Stimme ganz leise. Aber in ihren Worten klang eine Verzweiflung, die mich innerlich erstarren ließ.
»Du wolltest ihn erwecken!« beharrte ich, verzweifelt darum bemüht, die dumpfe Furcht, die sich in mir breit zu machen begann, niederzukämpfen.
»Um ihn zu töten«, sagte sie leise. »Du verstehst nichts, Robert. Shub-Niggurath ist mächtig, ein unsterblicher Dämon, aber alles, was erschaffen wurde, kann vernichtet werden. Im Augenblick seines Erwachens ist er verwundbar. Doch nur alle tausend Jahre stehen die Sterne günstig genug, DAS TIER zu beschwören. Tausend Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet. Und du hast alles zunichte gemacht«
Ich kann nicht beschreiben, was ihre Worte in mir auslösten. Keine Angst; nicht einmal Schrecken. Nur eine Lähmung und Kälte, die meine Seele selbst erstarren ließ. Länger als eine Minute starrte ich sie an, dann drehte ich ganz langsam den Kopf und blickte dorthin zurück, wo das Tor lag.
Ich konnte es nicht erkennen, aber das mußte ich auch nicht.
Ich wußte auch so, daß einer der beiden Sockel, die das Tor flankierten, leer war. Daß der Stahlwolf erwacht war. Shub-Niggurath.
DAS TIER war erwacht. Sein Körper war zerstört, aber sein Geist, dieses unsagbar finstere, zerstörerische Ding, das sein Wesen ausmachte, lebte weiter.
Einer der GROSSEN ALTEN war erwacht.
Und ich, Robert Craven, der Mann, der ihnen den Untergang geschworen hatte, hatte ihn zum Leben erweckt!
ENDE DES ZWEITEN TEILES
Und in vierzehn
Tagen lesen Sie:
London im Februar 1882.
Die Arbeiten an den Schächten der Untergrundbahn beginnen. Meile um Meile arbeiten sich Bautrupps durch den Fels. Dann plötzlich stürzt ein Teil des Tunnels ein – und legt den Zugang zu einem gigantischen Höhlensystem frei! Einer der Trupps erkundet die vergessenen Gänge. Er kehrt nie wieder. Auch die Rettungsmannschaft verschwindet spurlos. Ein einziger Mann findet den Weg zurück. Er ist wahnsinnig.
London im August 1885.
Zwei Männer öffnen den verschlossenen Schacht erneut und steigen in die unterirdischen Höhlen hinab. Einer der beiden ist Howard Phillips Lovecraft. Auf ihn wartet ein Schicksal in der Tiefe, das schlimmer ist als der Tod...
Engel des Bösen
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