Der Hexer - NR34 - Stirb Hexer
einmal denken würden. Bei ihm traf beides zu, und er wußte es. Aber dieses Wissen nutzte nicht besonders viel.
Er lehnte sich an die Hauswand, sog die feuchtwarme Luft tief in die Lungen und schloß für einen Moment die Augen. Dichte Nebelschwaden zogen die Straße hinauf und dämpften das Licht der Gaslaterne neben dem Club zu einem düsteren, gelben Schimmer, der kaum bis zum Boden reichte. Es war kalt. Sein Herz jagte.
Plötzlich glaubte Angus jemand neben sich zu sehen, stieß sich von der Wand ab und schnellte erschrocken herum. Doch der Gehsteig vor ihm war leer. Nur ein Stück zerfetztes Papier lag vor seinen Füßen. Angus bückte sich danach – eigentlich ohne selbst zu wissen, warum – und hob es auf. Es war ein Teil einer alten Zeitung, den irgend jemand abgerissen hatte, um etwas darauf zu notieren. Neugierig geworden, trat Angus damit weiter unter die Lampe und überflog die hastig dahingekritzelte Zeile.
»Peabody, wenn du dies liest, bist du schon tot!« stand dort. »Du hast es bloß noch nicht gemerkt.«
Angus Peabody fuhr sich verstört mit der Linken über die Augen, hielt das Blatt höher ins Licht und starrte aus ungläubig geweiteten Augen auf die Worte. Aber sie blieben. Einen Moment lang zweifelte Angus Peabody einfach an seinem Verstand. Den nächsten Moment überlegte er ernsthaft, ob er vielleicht mehr getrunken hatte als gut war.
Und dann wußte er es. »Tailworthern«, murmelte er. Natürlich. Dahinter steckte dieser infantile Idiot Tailworthern – und wahrscheinlich stand er jetzt in irgendeinem Schatten und lachte sich einen Ast, während er ihn belauerte.
Angus knüllte das Blatt wütend zusammen, ließ es fallen und kickte es mit dem Fuß davon. Von brodelndem Zorn erfüllt, sah er sich um. Sein Blick bohrte sich in die wattigen Nebelschwaden, die die Straße entlangtrieben. Im ersten Moment sah die Straße so aus wie immer. Und doch... er vermißte die Passanten, die sonst um diese Zeit die Gehsteige bevölkerten. Keine einzige Kutsche ratterte über das Kopfsteinpflaster, ja nicht einmal eine streunende Katze war zu sehen. Außerdem herrschte eine Friedhofsstille, die von keinem einzigen Geräusch durchbrochen wurde.
Für einen Moment wich sein Zorn auf Tailworthern eisiger Furcht. Eine unsichtbare, kalte Hand schien seinen Rücken zu streifen. Unsicher drehte er sich zum Clubhaus um. Die Fenster des mächtigen, im frühviktorianischen Stil erbauten Hauses waren hell erleuchtet, aber es war unheimlich still. Kein Laut drang aus seinem Innern auf die Straße. Und wenn doch, so schien ihn der Nebel zu verschlucken.
Verwirrt drehte sich Angus noch einmal im Kreise und trat auf das Portal zu. Doch seine Hand führte die Bewegung zum Türklopfer nicht zu Ende, als er daran dachte, wie Tailworthern über ihn lachen würde, wenn er jetzt in den Club zurückkommen würde. Außerdem war ein Nebel wie dieser für London gar nichts Besonderes, und es war auch nicht selten, daß der Nebel die Geräusche dämpfte.
Wenigstens versuchte er sich das einzureden.
Trotzdem beschloß er, sich an der nächsten Kreuzung eine Droschke zu nehmen.
Doch als er sie erreichte, nach Minuten, die ihm wie Ewigkeiten vorgekommen waren, war weit und breit kein Wagen zu sehen. Zuerst wollte Angus schlichtweg warten, bis eine Droschke kam. Doch dann hörte er etwas, was ihn diesen Gedanken sehr schnell vergessen ließ – das harte, abgehackte Stampfen schwerer Schritte, aus dem seine überreizten Nerven und der Alkohol dumpfen Trommelschlag werden ließen. Angus spürte, wie sich die feinen Haare in seinem Nacken und auf seinen Handrücken vor Furcht aufstellten. Seine Kehle wurde trocken. Er schluckte mehrmals, um den widerlichen Geschmack der Angst fortzubekommen, der sich plötzlich in seinem Mund breitmachte.
Es sind nur Schritte! dachte er hysterisch. Nichts als Schritte. Kein Grund, sich aufzuregen!
Aber es waren eben nicht nur Schritte.
Angus spürte mit den über lange Jahre sensibilisierten Sinnen eines Polizisten, daß da kein harmloser Passant auf die Kreuzung zukam, sondern...
Er wußte es nicht.
Aber er hatte auch keine sonderliche Lust, es herauszufinden.
Alles, was er hatte, war erbärmliche Angst.
Er blickte hastig in die Nebenstraße, ob von dort nicht endlich eine Kutsche kam. Doch als auch dort alles gespenstisch ruhig blieb, ging er, von immer stärker werdender Angst getrieben, die er vergeblich mit dem harmloseren Wort Unruhe zu kaschieren versuchte, los.
Zuerst
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