Der Hexer - NR40 - Das unheimliche Luftschiff
erlosch, aber der Strahlenkranz blieb, und dann tauchte aus dem Unterbewußtsein wieder der Engelsgesang und das Schreien eines Neugeborenen an die Oberfläche seines Denkens, und Howard erlebte es so, als sei er selbst der singende Engel und das Kind.
Und plötzlich, von einem Moment zum nächsten, war es vorbei. Er wälzte sich auf den Rücken und schlug die Augen auf, sah die Spuren der Zerstörung rings um sich, fuhr mit der Hand zur Stirn und holte tief Luft. Langsam wich der Bann von ihm, kehrte seine innere und äußere Bewegungsfreiheit zurück. Er konzentrierte sich stärker und spürte mit einemmal die Kraft, die von den Wänden und dem Boden auf ihn überfloß.
Die magische Kraft des Hauses! Sie stärkte ihn. Ihr allein hatte er es zu verdanken, daß er sich aus der Umklammerung durch die magische Fessel hätte lösen können!
Er richtete sich halb auf, schloß erneut die Augen. Er fürchtete sich vor dem Anblick der Wand, vor dem gleichschenkligen Dreieck, das in die Wand eingeschmolzen war und das Blut eines Menschen enthielt. Die rote Flüssigkeit pulsierte, als lebte sie. Howard hatte dies alles beim ersten Anblick in sich aufgenommen, jetzt erinnerte er sich wieder daran.
Er stand auf und wandte sich langsam um. Er war allein. Unten hörte er Rowlf rumoren. Eine andere Stimme klang auf – Harvey! Der alte Diener hatte den Angriff also lebend überstanden.
Howards Gestalt straffte sich, sein Körper nahm eine Haltung an, die an die heroische Gebärde steinerner Kämpfer erinnerte, wie es sie überall auf den Plätzen und in den Parks der Stadt gab. So hatte er früher oft dagestanden, bekleidet mit dem schweren Kettenhemd, dem Helm und dem weißen Gewand mit dem Doppelbalkenkreuz.
Es war ihm, als sei es bereits eine Ewigkeit her. Und wahrscheinlich war es das auch.
Howard streckte die Arme nach vorn, spreizte die Hände und öffnete dann erst die Augen. Er blickte direkt auf das magische Zeichen. Es leuchtete und pulsierte noch immer, aber der Schock blieb aus. Howard verlor weder das Bewußtsein noch die Fassung. Aus starren Augen blickte er auf das, was der Shoggote in der Wand hinterlassen hatte.
Das lebende Dreieck rahmte ein Bildnis ein. Eigentlich war es kein Bild, sondern der Scherenschnitt einer männlichen Person. Nur daß er nicht aus Papier war, sondern aus Blut und Gips, ein Schattenbild, das fortwährend die Helligkeit wechselte. Wurde es heller, tauchten schemenhaft Gesichtszüge auf, die zwei verschiedene Gesichter zeigten: einmal ein abstoßendes mit einer Habichtsnase, dann wiederum ein ausgeglichenes mit ruhigen Augen und einem Zug von Stolz.
Howard trat einen Schritt zurück. Durch die zerstörte Balkontür fiel genug Licht herein, um ihn jede Einzelheit des Bildes erkennen zu lassen.
»Rowlf!« rief er. Seine Stimme versagte teilweise, und sein Ruf wurde zu einem heiseren Krächzen. Howard erschrak, aber er ließ sich nicht davon abbringen, weiter vor dem Dreieck zu verharren.
»Biste wach?« brummte der Hüne. »Ein Glück. Dachte schon, es hätte dich erwischt. Was ‘n das?« Er deutete auf das Zeichen.
»Ein Symbol magischer Kraft«, erwiderte Lovecraft. »Es besitzt eine finstere Ausstrahlung. Der Shoggote muß in das Haus eingedrungen sein, nur um dieses Zeichen zu hinterlassen. Spürst du nichts, wenn du es anblickst?«
»Nee. Warum?«
Howard verzog sein Gesicht zu einer grimmigen Miene. »Dann ist es allein für mich gedacht. Es enthält eine Botschaft. Aber gewiß von keinem Freund!«
»Un’ wie lautet se?«
»Ich weiß es noch nicht. Was macht Harvey?«
»War bewußtlos. Is’ aber wieder in Ordnung!«
»Gut. Tust du mir einen Gefallen? Sollte ich erneut das Bewußtsein verlieren, dann bringe mich schnell weg von hier. Schaffe mich in mein Zimmer oder in die Bibliothek. Oder nach unten in die Halle. Ich weiß nicht, wie lange ich die Ausstrahlung des Zeichens ertragen kann!«
Howard neigte den Kopf ein wenig, dann trat er entschlossen hinaus auf den Balkon und begann, die feuchte und drückende Luft tief einzuatmen. Ein wenig kühlte sie seine heiße Stirn. Minutenlang stand er so, bevor er wieder in den Korridor zurückkehrte.
»Sei auf der Hut«, warnte er Rowlf. »Ich beginne jetzt!«
Er trat dicht vor das Dreieck und heftete seinen Blick auf das pulsierende Gebilde. Aus dieser Nähe war das Bildnis nur schwer zu erkennen. Howards Hände glitten nach vorn, näherten sich dem wie in Adern fließenden Blut, zögerten kurz und legten sich dann
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