Der Himmel ist kein Ort
in der Korrespondenzmappe
die übrige Post hereinbrachte. Zum Unterschreiben auch zwei Grußkarten an Gemeindemitglieder, die Geburtstag hatten.
»Ist was?«, fragte sie, weil er so zögerlich reagierte.
»Nein, nein«, sagte er. »Ich musste nur gerade an etwas denken. Aber es wäre schön, wenn ich eine Tasse Kaffee bekäme.«
Als sie gegangen war, unterschrieb er die beiden Grußkarten und blätterte die Tagespost durch, ohne sich etwas merken zu können.
Erst als Frau Meschnik mit dem Kaffee hereinkam und dazu eine Untertasse mit den üblichen Besucherkeksen stellte, holte ihn
das Wort »Besucherkeks« in die Gegenwart zurück.
Zwei Tage später kam ein Brief von Christoph. Er schrieb, dass er ihn gerne besuchen wolle, um über alles, was sich inzwischen
getan habe, zu reden. Sein |297| spurloses Verschwinden bei der Akademietagung sei zwar durchaus verständlich gewesen, habe aber leider ihren Kontakt unterbrochen.
Sie hätten sich doch von Anfang an gut verstanden. Daran wolle er gerne wieder anknüpfen. Er schlug für seinen Besuch den
Sonntagnachmittag der nächsten Woche vor. »Bitte gib mir gleich Bescheid, wenn es dir nicht passt.«
Er schrieb sofort zurück: »Sehr gute Idee! Der Sonntag passt mir. Ich freue mich darauf.«
Als Christoph an dem vereinbarten Tag frisch und unternehmerisch aus seinem Auto stieg, hatte er ihn bereits erwartet und
kam ihm schon draußen entgegen. Sie umarmten sich und beschlossen, wegen des schönen Wetters erst einen Spaziergang zu machen.
»Wie geht’s dir?«, fragte Christoph. »Wie geht’s in der Gemeinde? Du hattest doch große Schwierigkeiten.«
»Danke. Es läuft wieder rund. Seit dem Tod von Karbe ist wieder Friede eingekehrt. Und damit auch die Alltäglichkeiten. Viel
Routinekram.«
»Na ja, das kennen wir ja alle. Die Zeit der religiösen Visionen und Leidenschaften ist lange vorbei. Jedenfalls bei uns.
Immerhin, es gibt Neuigkeiten.«
Christoph begann zu erzählen, dass Pauly in die Politik gehe und als Kulturbeauftragter ins Innenministerium berufen worden
war, auf einen ziemlich hohen Posten.
»Ja, und dein alter Freund Patrik Graefe wird sein Nachfolger. Das war vermutlich schon lange so geplant. Die Akademietagung
war Paulys Abschiedsvorstellung, und Patriks Sprungbrett war sein Buch über die Zumutung des Glaubens. Ich weiß nicht, ob |298| es neue Gedanken enthält. Aber damit hat er sich offenbar qualifiziert.«
»Das habe ich alles nicht mitbekommen in meiner idyllischen Einöde.«
»Es ist doch schön hier. Vor allem bei diesem klaren Herbstwetter. Hier hast du doch Auslauf.«
»Auslauf und Ablauf«, sagte er.
Es war ein etwas trüber Witz, aber Christoph nickte und lachte.
Danach gingen sie eine Weile schweigend nebeneinanderher. Dann sagte Christoph: »Ich hab übrigens auch eine persönliche Neuigkeit
für dich. Ich heirate.«
»Was? Du heiratest!«, entfuhr es ihm. »Das ist ja …« Er suchte nach einem Wort, um seinen Satz zu beenden und seinen Schock
zu verbergen. Es war ein Schreck, als hätte sich der Boden unter ihm geöffnet. Doch dann fiel ihm das richtige Wort ein. »Unerwartet«,
sagte er.
»Für mich kam es auch unerwartet. Es hat sich am Ende der Akademietagung angebahnt. Als ich dich suchte, weil du so plötzlich
verschwunden warst, bin ich mit einer der jungen Pastorinnen ins Gespräch gekommen, und wir haben sofort Gefallen aneinander
gefunden. Wir haben gleich verabredet, uns wieder zu treffen. Das hat sich dann rasch weiterentwickelt. Wir verstehen uns
großartig.«
»Gratuliere«, sagte er.
»Das nehme ich gerne an von dir. Du bist ja sozusagen der Stifter unserer Beziehung gewesen. Ich hab dir übrigens als Andenken
eins von den blauen |299| T-Shirts mitgebracht, die die Jungens von der Rap-Band zum Schluss versteigert haben. Ich hab’s im Auto und kann es dir nachher
geben. Denk bitte mit daran.«
»Nein danke. Das möchte ich nicht.«
»Ich fand den Spruch nicht unwitzig. Erinnerst du dich? ›Heaven is not a place. It’s a feeling.‹ Das hab ich gedacht, als
ich Helga kennenlernte.«
»Ich bin eben nicht in derselben Lage wie du.«
»Entschuldigung«, sagte Christoph betroffen.
»Wofür willst du dich entschuldigen? Du hast doch keine Schuld.«
»Ach, ich hab mich wie ein egomanischer Idiot benommen.«
»Das tun die meisten Verliebten, habe ich mir sagen lassen.«
»Entschuldigung.«
Das Gespräch war erloschen. Stumm gingen sie eine Weile
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