Der Himmel kann noch warten
ist tot!«
Mama bekam einen Lachanfall. Ich war froh, dass die Franzosen unsere Sprache nicht verstehen. Nina kapierte auch nicht die Bohne.
»Wieso tut er das?«, flüsterte sie mir ins Ohr.
»Weil er gestört ist«, flüsterte ich zurück.
Nina und ich schauten zu Papa.
Mama sagte, sie würde ihm seinen Philosophenschnäuzer mit aller Liebe wegrasieren. Sie tat es mit ihrer Zunge. Und mit aller Liebe.
»Belle«, flüsterte Nina. »Weißt du noch, wie ich gesagt habe, alle Eltern würden sich irgendwann scheiden lassen?«
»Ja.«
»Deine nicht.«
»Ma?«
Wir sehen fern. Irgendeinen Quatsch. Ich fühle mich ein klein wenig besser als am Vormittag.
»Ja, Liebes?«
»Hast du Angst?«
»Wovor, Liebes?«
»Vor allem Möglichen«, sage ich. »Dass die Operation schiefgeht. Dass ich immer krank bleibe. Dass du mich verlierst.«
Vor ein paar Stunden hätte Mama bestimmt angefangen zu weinen. Aber etwas hat sich geändert. Ich weiß nicht genau, was es ist.
»Ich habe keine Angst«, sagt Mama.
»Wieso nicht?«
»Weil es gut gehen wird.«
Woher will sie das wissen? Sie glaubt doch nicht an Gott und den Himmel? Oder sagt sie das nur, um mich zu beruhigen?
»Ich habe schon Angst.«
Mama nickt. Sie sagt, dass sie es versteht. Aber dass es nicht nötig ist.
»Wieso ist es nicht
nötig
?«
»Weil es gut gehen wird«, sagt Mama wieder.
»Woher willst du das wissen?«
Mama schaltet den Fernseher aus. Sie schaut mich lange an. Und ernst. Nicht mit ihrem Ich-verstehe-alles-Blick. Es ist mehr ein Ich-werde-dir-die-Wahrheit-sagen-Blick.
»Erstens«, sagt Mama, »ich habe die Aufnahmen gesehen. Zweitens: Die Ärzte hier sind wahnsinnig gut. Und drittens: Wir beide haben uns noch längst nicht alles gesagt, was wir uns gegenseitig zu sagen haben.«
Heute ist der nationale Heultag. Jedenfalls für mich. Ist Mama endlich ein bisschen getrocknet, fange ich wieder damit an. Mama drückt mich. Ich finde es so schön. Und ich muss so weinen.
»Ich bin noch nie verliebt gewesen«, weine ich.
»Kommt noch«, sagt Mama.
»Ich habe noch nie richtig geküsst«, weine ich.
»Kommt auch noch«, sagt Mama.
»Ich habe noch nie mit jemandem geschlafen«, weine ich.
»Später«, sagt Mama.
Wir drücken uns und weinen und lachen. Wir schalten den Fernseher wieder ein. Und wieder aus. Wir lachen darüber. Wir reden über Jungs. Es ist wirklich zum Lachen. Mama hat mit sehr vielen Jungs geknutscht. Und geschlafen.
Ich bin müde. Mir wird wieder so schlecht. Ich muss schlafen. Mama deckt mich zu. Es ist zwar ein Krankenhausbett, aber trotzdem deckt Mama mich zu.
»Schöne Träume, Liebes.«
»Tröne Schäume, Ma.«
Ich mache die Augen zu. Ich versuche, die Übelkeit zu vergessen und vor allem nicht an die Operation zu denken. Ich weiß nicht, was geschehen wird. Und ob die Ärzte mich wieder gesund machen können. Mama kann sich noch so sicher sein, aber Gott wird mir nicht helfen.
KEINE AUSRUFEZEICHEN MEHR
Opa ist heute früh dran. Ein Glück. Das hier ist der kränkste Tag in meinem Leben. Bisher jedenfalls. Alles ist so anstrengend. Besonders reden. Und jede Bewegung eigentlich auch. Sogar im Bett zu liegen, ist anstrengend! (Ausrufezeichen.) Und in mein Heft schreiben, das ist erst schlimm. Wirklich tödlich anstrengend. Aber ich tue es trotzdem. Ich will immer noch berühmt werden.
»Was schreibst du denn da alles?«, fragt Opa.
»Ach, nichts.«
»Schöne Geschichten?«
Ich schaue zu Opa. Er zwinkert mir zu. Einfach so. Ich weiß nicht, warum. Trotzdem ist es schön.
»Opa?«, frage ich. »Wolltest du früher berühmt werden?«
Opa zieht beide Augenbrauen hoch. Und lässt sie wieder sinken. Bis fast auf seine Augen. Dann zieht er eine hoch. Eine Augenbraue unten, eine oben.
»Möchtest du eine kleine Geschichte hören?«, frage ich.
»Was für eine Geschichte?«, fragt Opa. »Aus meinem Heft.«
Opa ist einen Moment still. Er sucht nach den besten Worten. Dann sagt er: »Belle, das fände ich fantastisch.«
Ich glühe ganz und gar. Ich werde Opa etwas vorlesen! (Ausrufezeichen.) Und Opa, das ist richtiges Publikum. Opa mag Geschichten und Lesen und Bücher. Opa kennt sich damit aus.
»Mal sehen«, sage ich und blättere. Ich tue nur so, als würde ich suchen. Ich weiß längst, was ich vorlesen werde.
Wie das Küssen entstanden ist
. Es ist die einzige erfundene Geschichte, die in meinem Heft steht.
»Geht es?«, fragt Opa. »Ich kann sie auch selbst lesen.« Ich schüttele den Kopf. Ich will sie ihm
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