Der Himmel kann noch warten
einen Buchstaben zu lesen. Lies gibt Opa den Brief und geht wieder. Opa steckt seinen kleinen Finger zwischen den Umschlag und reißt ihn am Rand auf. Ganz ordentlich. Er zieht ein Blatt Papier daraus hervor. Es ist kein dicker Brief.
»So«, sagt Opa. »Mal sehen.«
Ich schaue zu dem Brief. Er ist von Mek. Das sehe ich an der runden Handschrift. Was Mek mir wohl zu sagen hat? Opa fängt an zu lesen.
Heeey Belle!!!
Wir (Mek und Brie) finden es sehr lustig (gar nicht!!!), dass Du so über uns schreibst. Wir finden es eigentlich ziemlich kindisch!!!! Vielleicht tust Du so, weil Du krank bist, aber es ist wirklich saublöd!!!!
Du willst uns nicht mehr sehen und deshalb wollen wir Dich auch nicht mehr sehen. Wir sehen Dich dann in der Schule, wenn Du wieder gesund bist!! Du wolltest die beste Freundin von jeder von uns sein, aber wir sind untereinander schonbeste Freundinnen, das heißt, das geht einfach nicht!! Tut uns leid. Gute Besserung
.
Tschü-hüss!!!
Mek und Brie
PS: Entschuldigung wegen dem Streit mit Brie!!!
Opa legt den Brief auf seinen Schoß. Er zieht die Augenbrauen hoch, direkt gegen die Runzeln auf seiner Stirn.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragt er.
Ich zucke mit den Schultern. »Wie viele Ausrufezeichen stehen da drin, Opa?«
Opa nimmt den Brief wieder zur Hand. Er zählt.
Vierundzwanzig sind es.
»Viele«, sage ich.
»Viel zu viele«, sagt Opa. »Mit Ausrufezeichen muss man sparsam sein.«
Hoffentlich sagt Opa jetzt nicht noch etwas Liebes hinterher. Dann muss ich nämlich wieder weinen. Ich fühle es. Die Tränen stehen schon bereit, um aus meinen Augen zu fallen.
»Verrückte Gören«, sagt Opa.
Oh nein. Es geht schon los. Und Opa hat noch nicht mal was Liebes gesagt. Aber ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Liebe Belle«, sagt Opa. Er umarmt mich ganz vorsichtig. Ich erwidere seine Umarmung, so fest ich kann. Es ist schön, Opa zu umarmen. Er riecht nach Opa. Nach Honigkuchen und nach Wald. Am liebsten würde ich Opa jeden Tag ein bisschen umarmen. Dann wäre ich ganz schnell wieder gesund.
»Du bist das netteste Mädchen der Welt«, flüstert Opa mir ins Ohr.
Ich weine auf seine Schulter. »Dein Pullover«, sage ich. »Er wird nass.«
»Sehr schön«, sagt Opa. »Den waschen wir am besten nie mehr. Das wird mein Lieblingspulli. Mein Tränenpulli.«
Alles, was Opa sagt, ist lieb. Alles, was Opa sagt, kostet mich Tränen. Ich bin plötzlich eine solche Heulsuse. Fast schon wie Mama.
EIN SCHÖNER ENTSCHULDIGUNGSBRIEF
Uff, endlich. Da ist Doktor Baars. Er kommt über eine Stunde zu spät. Mama wollte ihn schon fast herholen, auch wenn das überhaupt nicht geht.
»Entschuldigen Sie die Verspätung«, sagt Doktor Baars. »Ein Notfall.«
Ich schaue zu Mama. Meine Augen bedeuten ihr, dass sie jetzt nichts sagen soll. Ihr Mund versteht es.
Doktor Baars hat jemanden mitgebracht. Einen Praktikanten. Von denen gibt es hier so viele. Sie fragen alles, was der Doktor anschließend auch fragt. Ich habe heute keine Lust auf einen Praktikanten. Dazu bin ich viel zu krank und viel zu nervös. Ich hoffe, der Doktor versteht das.
»Wir haben uns die Aufnahmen angeschaut«, sagt Doktor Baars. Der Praktikant nickt. Er trägt ein verrücktes Brillchen. Das Ding bewegt sich zusammen mit seinem Kopf. Es passt nicht zu ihm.
»Belle«, sagt Doktor Baars, »du musst mir jetzt gut zuhören.«
»Ich höre zu«, sage ich. Wäre ich dieser Praktikant, dann würde ich mir ein anderes Brillchen zulegen. Eher eine Brille. Eine männliche. Und auch meine Haare würde ich anders kämmen. Etwas nach hinten. Und ohne diesen Scheitel.
Wie? Was ist das denn auf einmal? Mama sitzt da und weint.
»Was ist?«, frage ich.
»Hast du mich verstanden, Belle?«, fragt Doktor Baars.
Ich schüttele den Kopf. Doktor Baars schüttelt mit. Als hätte er selbst es auch nicht verstanden.
»Ich will nur sagen«, sagt er, »dass wir es noch einmal versuchen werden. Und diesmal nehmen wir alles mit.«
Ich will später keine Brille. Wenn ich schlechte Augen habe, kaufe ich mir Kontaktlinsen. Vorausgesetzt, Mama ist einverstanden. Die hat manchmal so ihre Prinzipien.
»Übermorgen schon«, sagt Doktor Baars.
Mama weint wie ein kleines Kind. Jemand muss sie stoppen. Es ist wirklich nicht zum Aushalten.
»Übermorgen?«, fragt Opa. Er ist natürlich auch noch da. Opa hat eine Brille. Schon immer. Ich kann mir Opa nicht ohne Brille vorstellen. Oder mit einer anderen. Diese Brille gehört einfach zu
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