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Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gideon Samson
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vorlesen. Das ist tödlich anstrengend. Aber ich schaffe es. Ich bin schon auf der richtigen Seite.
    »Hier steht sie«, sage ich.
    »Ich bin ganz Ohr«, sagt Opa.
    »Okay«, sage ich, »los geht’s.«
    Opa nickt. Er ist still. Ich fange an vorzulesen. Opa hört zu.
    Ich bin fertig. Opa ist immer noch still. Ich hoffe, es hat ihm gefallen.
    »Und?«, frage ich. »Lustig?«
    »Ich werde berühmt«, sagt Opa.
    »Wie meinst du das?«
    »Durch dich.«
    »Durch mich?«
    Opa nickt. »Du wirst doch Schriftstellerin, nehme ich an?«
    »Das weiß ich noch nicht«, sage ich.
    »Ich schon«, sagt Opa.
    Wenn es nicht zu anstrengend wäre, müsste ich jetzt wirklich ein bisschen lachen. Mama und Opa sind sich ihrer Sache so sicher. Dass ich gesund werde. Dass ich Schriftstellerin werde.
    »Opa, wieso wirst du denn berühmt, wenn ich Schriftstellerin werde?«
    »Du wirst enorm mit mir angeben«, sagt Opa. »In der Zeitung und im Fernsehen.«
    »Angeben?«
    Opa nickt und zwinkert wieder. »Wenn du schöne Bücher schreibst, wirst du allen erzählen, dass ich es schon immer gesagt habe.«
    »Dass du
was
gesagt hast?«
    »Dass du Schriftstellerin wirst.«
    »Hast du das denn?«
    »Ich sage es jetzt«, sagt Opa. »Und von jetzt an werde ich es immer sagen.«
    Wie kompliziert Opa doch manchmal ist. Ich kann ihm kaum folgen.
    »Dann müssen wir aber noch leben«, platze ich heraus. Ich erschrecke selbst ein bisschen. Opa nicht.
    »Letztendlich sterben wir alle«, sagt Opa und da hat er natürlich recht. »Ein nicht wiedergutzumachender Verlust.«
    »Was?«
    »Dass wir sterben.«
    Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Ist auch nicht nötig, denn Opa sagt: »Aber noch sterben wir nicht.«
    »Nein«, sage ich schnell.
    »Nein«, sagt Opa. »Wir nicht.« Er schaut auf meine Pinnwand. »Stehen noch mehr solch schöner Geschichten in diesem Heft?«, fragt er. »Dann können wir daraus einen Erzählband machen.«
    Soll ich Opa von meiner Idee erzählen? Dem Berühmtwerden? Mit meinem ganzen Schreibheft? Ich brauche ja nur ein ganz klein wenig zu verraten. Eigentlich reden wir ja schon fast davon.
    »Ich glaube, du solltest jetzt wieder etwas schlafen«, sagt Opa. »Mit deinen schönen Kussgeschichten.«
    Ich fühle, dass er recht hat. Dass ich vom Vorlesen ein rotes Gesicht bekommen habe. Und vom Reden. Ich werde mein Geheimnis noch ein wenig für mich behalten.

    Eine Erinnerung.
    Ich war acht. Oder sieben. Wir spielten Verstecken mit der ganzen Straße und mit dem Baum von Nachbar Bob zum Freischlagen.
    Ich war dran.
    »Achtundvierzig, neunundvierzig, fünfzig. Ich komme!«
    Joris sah ich sofort. Er hockte hinter dem blauen Auto. Aber Joris war erst fünf, also ließ ich ihn noch ein Weilchen sitzen.
    »Ich bin frei!«, rief Marc. Er stand an der anderen Seite des Baums. Ich hatte ihn nicht gesehen.
    »Das zählt nicht«, sagte ich.
    »Doch, es zählt«, sagte Marc.
    Ich schaute an den Autos vorbei die Straße entlang. Nach links. Nach rechts.
    »Du musst schon ein bisschen suchen«, sagte Marc. »Und nicht die ganze Zeit beim Mal stehen bleiben.«
    Ich tat, was er sagte. Aber ich behielt das Mal im Auge. Ich ging an dem blauen Auto vorbei und Joris schlug sich frei.
Er ist der Einzige
, sagte ich mir.
Der Rest ist für mich
.
    Verstecken spielen hat nichts mit Glück zu tun. Man muss gut hinsehen können. Man muss schnell sein. Scheinmanöver machen können. Tun, als hätte man Leute noch nicht gesehen. Ich konnte das alles.
    »Mit dir macht es keinen Spaß«, sagte Marieke. »Du schlägst jeden ab.«
    Sie hatte fast recht. Nur Robbie hielt sich noch versteckt. Er war schon dreizehn und blitzschnell. Robbie verlor nie.
    »Komm schon, Robbie!«, rief Marc durch die Straße. Einige andere machten mit. »Komm schon, du bist der Letzte, Robbie!«
    Es ist das Los des Suchers beim Versteckspiel. Niemand ist für dich und du musst es ganz allein schaffen. Aber wenn du gewinnst, finden sie dich trotzdem stark. Und haben gleich wieder vergessen, dass sie gegen dich waren.
    Ich wollte nicht verlieren. Ich kann Verlieren nicht leiden. Ich lief immer weiter vom Mal weg.
    »Ja!«, rief Marc.
    Ich schaute hinter mich. Kein Robbie. Lahmer Scherz. Ich ging weiter. Bis zur nächsten Ecke.
    Hä? Was war das denn? Da stand er einfach! Auf dem Gehweg. Mit Vanessa. Sie war schon fünfzehn und fand sich viel zu alt fürs Versteckspiel. Robbie und Vanessa sahen mich nicht. Sie hatten sich gegenseitig die Zunge in den Mund gesteckt. Ich hatte noch nie so etwas

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