Der Himmel schweigt
entsprechende Notiz. Die langen, trüben Winter der Hauptstadt hatten auf manche Menschen eine deprimierende Wirkung. Möglicherweise gehörte der Oberst zu dieser Gruppe. Falls dem so war, würde sie es jedoch niemals von ihm erfahren. Er machte im Aussehen ebenso wie im Verhalten den Eindruck eines Regimentsoffiziers alter Schule. Ein Offizier der Sorte, für die es undenkbar wäre, zu erwähnen, dass sie tödlich verletzt waren und langsam verbluteten. Eine derart stoische Haltung war bei einem Kommandeur in verzweifelter Lage, wenn es ohnehin nicht möglich war, das Problem zu beheben, durchaus nützlich. Doch ihr Wert sank rapide, wenn sie den Verlust eines guten Offiziers bedeutete, den eine leicht zu behandelnde Depression langsam zermürbte.
Aber hier und jetzt verlangten andere Probleme Taras Aufmerksamkeit. Sie öffnete die oberste Datei und drehte den Bildschirm so, dass Oberst Griffin ihn ebenfalls sehen konnte.
»Ich wollte mich mit Ihnen über den Präfekturatsgeheimdienstbe-richt unterhalten.«
Griffin warf keinen Blick auf den Schirm, Tara aber wusste, dass sie seine Neugier ausreichend geweckt hatte, um den Wunsch dazu in ihm anzuregen. Es war klar daran zu erkennen, wie aktiv er nicht hinschaute.
»Ich fürchte, ich besitze dazu nicht die notwendige Sicherheitsstufe.«
Sie schnaubte. »Ich bin die Präfektin. Wenn ich sage, Sie dürfen das sehen, dann dürfen Sie es sehen. Und ich möchte, dass Sie es sich ansehen, denn es betrifft Northwind.«
»Inwiefern, Ma'am?«
Der Oberst hatte noch immer keinen Blick auf den Bildschirm geworfen, aber nach ihrer Feststellung hatte sich seine Haltung verändert. Jetzt strahlte er streng kontrollierten Eifer aus, sich an die Arbeit zu machen, die sie ihm zweifellos auftragen würde. Tara unterdrückte ein Grinsen. Er war tatsächlich von der alten Schule.
»Der Präfekturatsgeheimdienst erwartet, dass eine oder mehrere der Fraktionen, die sich seit dem Zusammenbruch des HPG-Netzes gebildet haben, versuchen wird, das Solsystem zu erobern. Über Northwind.«
Wieder veränderte sich Oberst Griffins Miene. »Das ist . nicht gut«, stellte er fest.
Tara fragte sich, ob diese meisterhafte Untertreibung bedeutete, dass er denselben Gedanken wälzte, der ihr gekommen war, als sie den PG-Bericht zum ersten Mal gelesen hatte: Falls es zu einer Invasion kam, würde das die ersten Kampfhandlungen auf Northwind bedeuten - seit Menschengedenken.
Niemand auf dieser Welt war mehr an Krieg gewöhnt. Die Bewohner Northwinds wussten nicht mehr, wie ein Stadtpark roch, nachdem sich dort eine Woche lang Infanteristen mit Gaussgewehren gegenseitig abgeknallt hatten, oder wie eine ehemals reizende Landvilla aussah, nachdem ein Mechfuß Dach und Mauern zertrümmert hatte. Der Anblick des Blumentals auf Sadalbari war ein Genuss gewesen, bis die Piraten des Schwarzen Drachen sich dort eingenistet hatten und die Republik sie auszuräuchern begann.
Tara hatte diesen Feldzug als Berühmtheit beendet. Nachrichtensender der ganzen Republik hatten sich auf die Geschichte des >En-gels von Sadalbari< gestürzt, der jungen Offizierin, die die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte, als ihr Oberst mitten im Gefecht durch Mechversagen ausfiel. Ihr Bild war sogar auf der Titelseite des Republikspiegel erschienen. Allerdings hatte der dazugehörige Artikel die Kämpfe auf Sadalbari und deren Nachwirkungen viel sauberer und romantischer dargestellt, als Tara sie in Erinnerung hatte.
»Ich sehe es ebenso«, bemerkte sie nach einer kurzen Pause. »Dieser Bericht enthält die Einschätzung des Präfekturatsgeheimdienstes zur Wahrscheinlichkeit eines Angriffs durch die verschiedenen Fraktionen. Bei der Lektüre werden Sie sehen, dass die größte Gefahr von Des Drachen Zorn, den Stahlwölfen und Herzog Aaron Sandovals Schwertschwur ausgeht. In dieser Reihenfolge. Ich möchte, dass Sie den Bericht lesen und mir die Einschätzung des planetaren Nachrichtendienstes zu dieser Frage erläutern.«
»Jawohl, Ma'am«, bestätigte er. »Sie gestatten?«
Er streckte die Hand aus und gab einen Befehl ein, der die Datei auf seinen Computer kopierte.
Tara sprach weiter. »Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, Oberst, dass ich in einem Punkt mit dem PG einer Meinung bin: Diese Welt ist äußerst bedroht. Und ich bin überzeugt, wir müssen entsprechende Schutzvorkehrungen treffen.«
»Haben Sie schon einen Plan?«
»Eine Menge Maßnahmen können wir erst ergreifen, wenn wir sicher wissen, wer der Angreifer
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