Der Himmel über Garmisch (German Edition)
Tauchern?«, brüllte Schafmann, und wie als Kommentar schoss ein Baumstamm an ihnen vorbei durch die Klamm. Schwemmer sah Schafmann an, der hob entschuldigend die Hände. Er sagte etwas, was sich für Schwemmer durch den Lärm wie »War halt ‘ne Idee« anhörte.
Er winkte Dräger zu sich heran. »Mehr Licht«, sagte er ihm ins Ohr.
Dräger wies klammabwärts. »Kollege ist unterwegs. Batterieleuchten.«
Schwemmer sah wieder zu dem tanzenden Körper. Es waren nicht mehr als vielleicht fünf Meter, die der Tote an der nahen Seite des Strudels von ihnen entfernt war.
Ein Mann in durchnässter roter Bergjacke kam aus dem Stollen auf sie zu. Er schüttelte Schwemmer kurz die Hand, dann richtete er seine Stablampe auf den Strudel und die Wand hinauf. Er zuckte die Schultern und beugte sich zu Schwemmers Ohr.
»Wir werden einen Mann vom Rand aus abseilen«, sagte er.
»Hubschrauber?«, brüllte Schwemmer zurück.
»Geht hier nicht. Wollen Sie ‘nen Tipp?«
Schwemmer antwortete mit einer auffordernden Geste.
»Warten Sie einfach ein bisschen. Über kurz oder lang kommt er aus dem Strudel frei, dann können Sie ihn unten am Kraftwerk einfach rausklauben.«
Schwemmer verzog das Gesicht. Diesen Gedanken versuchte er schon seit seiner Ankunft zu verdrängen.
»Aber wir können ihn auch rausholen, wenn Sie wollen.«
Schwemmer nickte. »Bereiten Sie es vor. In aller Ruhe.«
* * *
Magdalena saß müde hinter dem Empfangstresen und war noch immer mit ihrer Buchhaltung beschäftigt.
Die Bar war seit Stunden leer, der Kölner hatte sich schlecht gelaunt ins Garmischer Nachtleben verabschiedet, nachdem seine Frau mit Kopfschmerzen in der Suite verschwunden war.
Herr Kant hatte sich nicht mehr blicken lassen.
Es ging auf elf in der Nacht zu, als Andi Weidinger hereinkam. Magdalena sah ihn an und schüttelte den Kopf.
»Andi …«, sagte sie nur.
»Was denn?«, fragte er.
Er war noch so blass wie heute Morgen. Ein kleiner roter Punkt zwischen Unterlippe und Kinn zeigte, dass er sich beim Rasieren geschnitten hatte. Er trug ein beiges Hemd mit einer dunkelroten Krawatte.
Und er kam eine ganze Stunde zu früh.
»Ich konnte nicht schlafen«, sagte er.
»Na dann …« Magdalena machte eine Sicherungskopie und schloss die Datei.
»Wie war der Abend?«, fragte Andi.
»Ruhig. Aber nach dem Morgen kam es mir vielleicht auch nur so vor. Soll ich dir einen Espresso machen?«
»Nein, nein. Ich hab so viel Kaffee heute. Mein Magen.«
»Du siehst eigentlich nicht aus, als würdest du die Nacht durchstehen. Es hat keiner was davon, wenn du zusammenklappst. Geh nach Hause, Andi.«
Aber Andi Weidinger sah zu Boden und bewegte den Kopf hin und her wie ein trotziger kleiner Junge. Magdalena lächelte, aber er sah es nicht.
»Na schön. Wahrscheinlich wird es ruhig bleiben. Also: Wenn du einschläfst, mach dir keine Vorwürfe.«
»Tu ich nicht«, sagte Andi, und sie wusste, dass er das Einschlafen meinte und nicht die Vorwürfe. Eigentlich gehörte es zum Konzept des »Lenas«, den Gästen einen echten Vierundzwanzig-Stunden-Service zu bieten, aber das ging mit nur einer Person am Empfang nicht wirklich, und es war keine leichte Entscheidung für Lena gewesen, auf eine zweite Kraft zu verzichten. Aber es wäre bei zwölf Zimmern einfach nicht zu finanzieren, selbst bei den deftigen Preisen, die ihre Klientel zu bezahlen bereit war.
Und es würde wohl kaum ein Schaden entstehen, wenn Andi während der Nachtschicht mal einduselte. Magdalena war sich sicher, dass seine Kollegen das regelmäßig machten. Aber Andi war eben Andi.
»War was mit dem … diesem Düsseldorfer?«, fragte er.
»Wieso?« Sie sah auf. »Wie kommst du darauf?«
»Ich hab nachgedacht über den heute. Irgendwie komisch, weiß nicht, der Mann.«
»Ja … Und stellt komische Fragen.«
»Fragen?« Andi nestelte an seiner Krawatte.
Magdalena griff nach dem Knoten und richtete ihn. »Hab ich dir mal von der alten Fehde zwischen den Meixners und den Schedlbauers erzählt?«, fragte sie und ärgerte sich sofort, das Thema überhaupt angerissen zu haben.
»Nein«, antwortete Andi. »Du nicht. Aber andere haben.«
Sie runzelte die Stirn. Klar, wenn ein Auswärtiger hier für eine Meixner arbeitete, bekam er viel zu hören. Und nicht besonders viel Wahres. Den Angestellten der Schedlbauers dürfte es ähnlich gehen, nur eben andersherum.
»Dieser Herr Kant weiß jedenfalls davon«, sagte sie. »Ich meine, bis Düsseldorf sollte sich das doch
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