Der Himmel über Kasakstan
wollen Sie hin?« fragte der Beamte.
»Das ist mir gleich. Ich kenne Deutschland nicht und habe auch keine Verwandten hier.«
»Ich kann Sie als Knecht auf ein Gut ins Rheinland vermitteln«, sagte der Beamte. »Erwarten Sie nicht zuviel für den Anfang. Wir haben schließlich den Krieg verloren.« Er sah zu Boris, der vor ihm stand, hinauf. »Haben Sie etwa auch schon Abzahlungsverträge unterschrieben?«
»Nein. Ich muß erst wissen, was mit uns wird.«
»Vernünftiger Mann!« Der Beamte blätterte in den Listen der Arbeitsangebote. »Ein Gut im Rheinland«, wiederholte er. »Lohn wöchentlich 70 DM bei freier Wohnung. Jährlich ein Deputatschwein, täglich 3 Liter Vollmilch als Deputat. Wohnung vorhanden.« Er blickte wieder auf Boris. »Ist das richtig für Sie?«
»Wenn Sie es vermitteln, wird es gut sein«, sagte Boris bescheiden. Wöchentlich 70 DM, dachte er. Was kann man damit kaufen? Das sind im Monat 280 DM! Was sind 280 DM in Deutschland wert? Ich weiß es nicht. Aber wenn es ein deutscher Beamter vorschlägt, muß es gut sein. »Ich glaube, ich nehme es. Weil Sie es sagen.«
»Wir treten nur als Vermittler auf!«
»Ich nehme an.«
»Wie alt sind Sie?« Der Beamte blickte auf die Kartei. »Ach ja … 26 Jahre. Und Ihre Frau 24 Jahre!« Der Beamte lächelte freundlich. »Wie jung noch! Sie haben das Leben ja noch vor sich! Mit dreißig beginnt ja erst das Leben –«
Boris nickte. Mit dreißig beginnt erst das Leben, dachte er. Und was war das, was hinter uns liegt …?
Als er zurückkam in die Baracke, hatte Erna-Svetlana von einem der Händler Kleider für die Kinder gekauft. Sie hatte eine ›Überbrückungshilfe‹ bekommen und traf, als sie aus der Zahlstelle trat, auf den Händler, der sich ihr mit einem netten Lächeln näherte.
»Haben Sie Kinder, gnädige Frau?« fragte er.
Erna-Svetlana starrte den fremden Mann an. »Meinen Sie mich?« fragte sie verblüfft.
»Wie Sie aussehen, müßten Sie ganz entzückende Kinderchen haben, gnädige Frau«, flötete der Händler. »Ich habe eine Auswahl bester Knabenanzüge und Mädchenkleider bei mir … Modelle, wie sie auf der Königsallee in Düsseldorf getragen werden!«
»So?« sagte Erna-Svetlana nur. Sie dachte an Mischa und Mascha und an die zerrissenen und alten Sachen, die sie trugen. Wehmütig warf sie einen Blick hinüber auf die Kinder, die außerhalb des Lagers standen. Sie sahen aus wie kleine Fürsten … wundervolle Wintermäntel aus bunter Wolle, Strickmützen, farbige Schals … in Svetlana zog sich das Herz zusammen, wenn sie an die Kleider dachte, in denen Mischa und Mascha aufgewachsen waren.
Langsam schüttelte sie den Kopf. »Ich darf es nicht.«
»Wer will Ihnen etwas befehlen! Sie sind nicht mehr in Rußland, gnädige Frau! Sie leben im freien Westen! Sie können tun und lassen was Sie wollen.«
»Mein Mann –«
Der Händler machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie leben im Land der völligen Gleichberechtigung! Wenn es Ihnen gefällt, können Sie alles kaufen … der Mann hat gar nichts mehr zu sagen.«
»So einfach wird es nicht sein.«
»Wir haben im Westen alles auf einen einfachen Nenner gebracht, gnädige Frau. Recht hat, wer Geld hat! Ist das nicht einfach?« Der Händler schob seine Krawatte gerade. Sie war aus weißer Seide mit roten Punkten. »Denken Sie an Ihre Kleinen, gnädige Frau. Ihr Mann wird entzückt sein, wenn er sie in den neuen Sachen sieht. Männer wollen optisch überzeugt sein. Ich bin ja selbst ein Mann, haha! Mag er erst brummen … das legt sich und wird zu Vaterstolz!«
»Glauben Sie?«
»Ich weiß es, gnädige Frau!«
»Lassen Sie bitte das ›gnädige Frau‹ weg«, sagte Erna-Svetlana etwas verschämt. Der Händler hob beschwörend die Hand.
»Sie könnten eine Königin sein. So wie Sie habe ich mir als Kind immer die Königinnen des Märchens vorgestellt. Lange blonde Haare, blaue, strahlende Augen, eine Figur wie …«
»Was haben Sie für Sachen?« unterbrach ihn Svetlana. Sie war errötet und putzte sich, nur um etwas zu tun, die Nase. »Ich habe drei Kinder …«
»Drei?« Der Händler schien vor Begeisterung umzufallen. »Drei Kinder!« rief er enthusiastisch. »An Ihnen zeigt es sich, daß eine Frau mit jedem Kinde schöner wird.«
Es dauerte noch zehn Minuten, dann hatte er Svetlana überredet. Sie kaufte für Mischa einen Anzug, für Mascha ein Wollkleid und für die kleine Natascha ein Wintermäntelchen aus einem hellblauen Flauschstoff.
Boris wußte zunächst
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