Der Himmel über Kasakstan
die drei Männer hielten ihn fest umklammert. »Er beleidigt uns alle. Sind wir darum nach Deutschland gekommen, daß man unsere Frauen in einen Puff vermitteln will?!«
»Hier kann jeder machen, was er will!« schrie der Händler zurück. Er hatte sich erhoben und klopfte seinen Mantel ab. »Gegen dich Bolschewistenschwein bekomme ich immer noch Recht! Man weiß ja in Deutschland, was man uns da von Rußland rüberschickt! Den Abschaum, von dem man drüben froh ist, daß er weg ist! Und bei uns bläst man euch Zucker in den Hintern! Ersäufen sollte man euch!«
Boris schloß das Fenster seines Zimmers. Sein Gesicht war kantig und wie gefroren.
»Deine Freiheit, Bor …«, sagte Svetlana leise und sah zu Boden.
*
In Moskau verendete unterdessen Stephan Tschetwergow.
Er starb nicht, o nein, so konnte man das nicht mehr nennen. Er krepierte regelrecht. Nur einmal stellte man ihm Ilja Sergejewitsch gegenüber … er kannte ihn nicht wieder und hätte nicht geglaubt, daß es Ilja sei, wenn der Mann, der vor ihm stand, es nicht selbst gesagt hätte und der Klang der Stimme mit dem übereinstimmte, was Tschetwergow im Ohr behalten hatte.
Ein geschwollener Kopf, blutunterlaufene Augen, ein zahnloser, aufgeschlagener Mund, eine schiefe Nase … ein Zerrbild von einem Menschen, entstiegen aus den Gruselkabinetten des Stummfilms.
»Er ist allein schuldig«, sagte der deformierte Mann mit der Stimme Konjews. »Ich habe nur seine Befehle ausgeführt. Er ließ sich alles melden, was in Judomskoje vorging, und machte seine Befehle.«
Konjew sagte es her, wie einstudiert. Monoton, leiernd, den Blick starr geradeaus, über Tschetwergow hinweg, den er gar nicht zu sehen schien. Ein Stoß in den Rücken wirbelte ihn herum. Wie eine aufgezogene Puppe marschierte er aus der Zelle heraus. Nur der verhörende Kommissar blieb übrig.
»Na, Stephan«, sagte er gemütlich. »Hast du gehört, was dein Freundchen ausgesagt hat? Willst du noch leugnen?«
Tschetwergow tastete mit der Hand über seine Stirn und wischte den kalten Schweiß weg. Aber es half nichts … es war, als seien seine Poren wie ein Wasserfall … der Schweiß überschwemmte sein faltiges, gelbes Tatarengesicht.
»Ich weiß gar nicht, Genosse, was ich leugnen soll!«
»Daß du als Beamter des Sowjetstaates Schweinereien gemacht hast. Du hast dein Amt mißbraucht, um Sabotage am Staatsvermögen –«
»Nein, Genosse, nein!« schrie Tschetwergow. Er wußte, daß das, was man ihm vorwarf, sein Todesurteil bedeutete. »Meine Abrechnungen stimmen, meine Kassen …«
»Du hast die Datscha verschachert!«
»Hat sie jemals die Norm nicht erfüllt?!«
»Auch noch frech werden, was?« Der Kommissar erhob sich. Dann schlug er zu … mit der flachen Hand auf die Nase Tschetwergows, der kurz darauf das Blut in seinen Mund rinnen spürte. »Du kommst nachher in den Keller!« sagte er gleichgültig. Tschetwergow fuhr empor.
»Nein!« brüllte er tierisch grell. »Nein! Gnade, Genosse! Nicht in den Keller! Ich flehe Sie an! Ich will alles gestehen! Ich … ich … nicht in den Keller! Nein!«
Der Kommissar verließ wortlos die Zelle und warf die Tür hinter sich zu. Als das Schloß davor klirrte, brüllte Tschetwergow noch einmal auf.
»Ich will alles gestehen!« schrie er grell. »Ich will nicht in den Keller! Habt doch Mitleid, Brüder … habt doch ein Herz! Ich will ja alles sagen … nur nicht in den Keller! Wir sind doch Brüder, wir sind doch Menschen! Bitte … bitte …«
Er sank vor der Tür auf den Steinboden und schlug mit dem Kopf gegen die Eisentür. Immer und immer wieder und immer nur das eine Wort brüllend: »Gnade! Gnade! Gnade!«
Als zwei Wärter ihn abholen wollten, fanden sie Tschetwergow am Bettpfosten sitzend auf der Erde. Er hatte sich mit seinem in Streifen gerissenen Hemd erdrosselt. Es mußte ein fürchterlicher Tod gewesen sein, denn seine Augen enthielten alles, was sie an Grauen ausdrücken konnten.
Damit war die Akte Boris Horn endgültig abgeschlossen.
Es geht nichts über eine peinlich genau arbeitende Bürokratie.
*
Das Gut Gerberhof lag am Niederrhein, dort, wo der Strom breit und behäbig wird und sich vorbereitet, nach einem Durchlaufen der holländischen Ebene in die Nordsee aufzugehen.
Die Ankunft des neuen Knechtes wurde mit geteilter Erwartung aufgenommen.
»Ich will mit da Pimokken nichts zo dünn han«, sagte der 1. Knecht, ein stämmiger Bursche aus dem Kölner Vorgebirge. »Die rießen de Schnüß up und dünn
Weitere Kostenlose Bücher