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Der Himmel über Kasakstan

Der Himmel über Kasakstan

Titel: Der Himmel über Kasakstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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alte Bauer. »In Deine Hände befehle ich ihre Seele. Nimm sie gnädig auf … sie ist eines der Menschenkinder gewesen, die das Leid der Welt reif machte für Deinen herrlichen Himmel und Frieden.«
    Der Rothaarige begann plötzlich zu weinen. »Warum hat man uns das verschwiegen?« sagte er schluchzend in die Stille hinein, die ihn umgab. »Warum wissen wir nichts von Gott …?«
    Schweigend gingen sie auseinander, zurück zu ihren Wagen. Nur drei Männer blieben allein zurück und schaufelten das Grab zu. Von der Lokomotive her pfiff es grell. Einsteigen! Weiter!
    Sie hatten nicht die Zeit mehr, auf das Grab ein schlichtes Kreuz aus Knüppelholz zu setzen.
    *
    Als sie die ersten deutschen Namen lasen, die ersten deutschen Häuser sahen, die ersten Wälder und Felder, klebten sie alle an den Scheiben wie Trauben von Fliegen.
    Auf den Bahnsteigen der kleinen Bahnhöfe, die sie durchfuhren, standen Polizisten und Soldaten in merkwürdigen Uniformen. Deutsche Röcke und russische Helme, russische Waffen in den Händen.
    »Warum halten wir denn nicht?« rief einer aus dem Fenster. »Hier ist doch Deutschland!«
    »Ostdeutschland, du Rindvieh!« schrie einer zurück.
    »Ist das denn kein Deutschland mehr?«
    »Ihr seid Adenauer-Knechte!« schrie ein junger Bursche vom Bahnsteig aus. Er trug ein blaues Hemd und ein Gewehr auf dem Rücken.
    »Job twojemadj!« brüllte einer der Jungen zurück.
    Das war die erste Stunde in Deutschland, daß man sie beschimpfte, weil sie nach Westen fuhren.
    »Wir kommen in eine böse Politik hinein«, sagte Boris zu Erna-Svetlana, die mit den beiden größeren Kindern am Fenster saß und ihnen die deutschen Ortsnamen vorlas. Aus der Erinnerung kamen ihr Namen ins Gedächtnis, die sie als Kind gehört oder gelesen hatte … stückweise, wie die Sprache, die sie nach dreizehn Jahren wieder sprechen sollte.
    »Tschetwergow wußte, warum er uns wegschickte«, sprach Boris weiter. »Irgendwie komme ich mir vor, als habe man uns verkauft.«
    »Es wird sich alles finden, Bor.« Svetlana zeigte durch die Scheibe auf die Silhouette einer Stadt, an der sie vorbeifuhren. »Sieh einmal, Mischa«, sagte sie, »so sehen alle deutschen Städte aus.«
    »Alles Häuser aus Stein?«
    »Alle.«
    »Und auch die Datschas sind aus Stein …«
    »Es gibt in Deutschland keine Bauernhäuser aus Baumstämmen. Es gibt auch keine Ziehbrunnen. Sie haben in der Wand einen Hahn, und wenn sie ihn aufdrehen, kommt Wasser heraus.«
    »Richtiges Wasser, mamaschka?«
    »Aber ja. Du kannst es trinken, ohne es durchzusieben.«
    »Das ist ja wie im Märchen, mamaschka.«
    Sie fuhren an einer langen Fabrikmauer vorbei. Auf den roten Ziegeln war mit weißer Farbe ein Bild Lenins gemalt und darunter ein Spruch: Er gab uns Recht! Er befreite die Arbeiterklasse!
    »Die Märchen sind überall gleich«, sagte Boris bitter.
    *
    Die Umwälzungen, die nach dem Tode Stalins begonnen hatten, mit Malenkows und Molotows Verschickung in untergeordnete Ämter ihren Höhepunkt erreichten und den immer lächelnden Chruschtschow in den Himmel sowjetischer Macht erhoben, waren auch an Stephan Tschetwergow und Ilja Sergejewitsch Konjew nicht so glatt vorübergegangen, wie sie es sich erträumt hatten.
    Ihre verzweifelten Bemühungen, ein gutes Licht in Moskau für sich anzustecken, hatten einen großen Fehler gehabt: die Übereilung.
    Eines Tages erschien aus Moskau eine Prüfungskommission in Alma-Ata. Tschetwergow ahnte von nichts, als es klopfte und drei Herren in guten Anzügen und mit verschlossenen Gesichtern eintraten, ehe Tschetwergow sein »Herein!« sagen konnte.
    »Was soll das, Genossen?« schrie er die drei an. »Seit wann herrschen hier die Manieren der Kameltreiber?! Raus mit euch und einzeln eintreten!«
    Die drei Herren nickten. Sie schoben sich drei Stühle herbei und setzten sich. Tschetwergow verschlug es die Sprache. Dann aber spürte er, wie es unter seiner Kopfhaut zu jucken begann und wie kalter Schweiß zuerst im Nacken, dann aus allen Haaransätzen brach.
    Moskau! O Himmel! Die kommen aus Moskau!
    »Sie wünschen, Genossen?« fragte er heiser vor Erregung.
    »Einige Auskünfte, Genosse Tschetwergow.« Einer der Herren reichte einen Ausweis über den Schreibtisch. Tschetwergow las ihn gar nicht … vor seinen Augen flimmerte es. Tief atmend gab er den Ausweis zurück.
    »Ich stehe zu Diensten, Genossen«, sagte er keuchend.
    »Zu Diensten ist ein kapitalistisches Wort! Ein Sowjetbeamter dient nicht, er tut seine

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