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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Straße um. »Und dann könnten wir vielleicht hier leben.«
    »Ich dachte, dir gefiele Cornwall.«
    »Sogar sehr«, sagte sie. »Nur nicht im Winter.«
    Gabriel schwieg einen Augenblick. Ein Gespräch dieser Art erwartete er seit einiger Zeit. »Ich dachte, wir wollten ein Kind«, sagte er.
    »Das dachte ich auch«, sagte Chiara. »Aber ich glaube fast nicht mehr daran. Nichts, was ich versuche, scheint zu klappen.«
    In ihrer Stimme lag ein resignierter Tonfall, den Gabriel noch nie gehört hatte. »Dann versuchen wir’s eben weiter.«
    »Ich will nur nicht, dass du enttäuscht bist. Schuld daran ist die Fehlgeburt. Sie macht es anscheinend schwieriger, jemals wieder schwanger zu werden. Aber wer weiß? Vielleicht würde ein Tapetenwechsel helfen. Denk einfach mal darüber nach«, sagte sie und drückte seine Hand. »Mehr will ich gar nicht, Liebster. Vielleicht würde es uns gefallen, hier zu leben.«
    Auf der fast italienisch anmutenden Piazza des Covent Garden Market stellte ein Straßenkomödiant zwei ahnungslose deutsche Touristen in einer Pose mit unübersehbar sexueller Anspielung auf. Während Chiara das Schauspiel an eine Säule gelehnt beobachtete, verfiel Gabriel in die würdelose Rolle des Beleidigten und ließ abwesend seinen Blick über die Menschen auf dem belebten Platz und der Balkon-Bar des Punch & Judy gleiten. Er war nicht auf Chiara wütend, sondern auf sich selbst. Im Mittelpunkt ihrer Beziehung hatten jahrelang nur er und seine Arbeit gestanden. Er war nie auf die Idee gekommen, Chiara könnte eine eigene Karriere anstreben. Wären sie ein normales Paar, hätte er das vielleicht vermutet. Aber sie waren kein normales Paar. Sie waren ehemalige Agenten eines der berühmtesten Geheimdienste der Welt. Und ihre Vergangenheit war viel zu blutig, als dass sie ein so öffentliches Leben hätten führen können.
    Als sie die hoch aufragende Glasarkade des Markts betraten, war die Verstimmung ihrer Diskussion rasch verflogen. Selbst Gabriel, der alle Arten von Shopping verabscheute, hatte Spaß daran, gemeinsam mit Chiara durch die bunten Läden und Stände zu bummeln. Vom Duft ihres Haars angeregt, malte er sich den vor ihnen liegenden Nachmittag aus: erst ein ruhiger Lunch, dann ein netter Spaziergang zurück ins Hotel. Dort würde er Chiara im kühlen Halbdunkel ihres Zimmers langsam ausziehen und sie auf dem riesigen Bett lieben. Einen Augenblick lang konnte Gabriel fast glauben, seine Vergangenheit sei getilgt, seine Erfolge nur Fabeln, die im Archiv am King Saul Boulevard Staub ansammelten. Nur die Wachsamkeit blieb – das instinktive, nie erlahmende Misstrauen, das es ihm unmöglich machte, sich in der Öffentlichkeit jemals ganz entspannt zu bewegen. Diese Vorsicht zwang ihn dazu, in Gedanken eine Kohlestiftskizze von jedem Gesicht in der Menge zu erstellen. Und auf der Wellington Street, kurz vor ihrem Restaurant, brachte sie ihn dazu, ruckartig stehen zu bleiben. Chiara zupfte ihn spielerisch am Ärmel. Dann blickte sie ihm ins Gesicht und erkannte, dass irgendetwas nicht stimmte.
    »Du siehst aus, als hättest du gerade ein Gespenst gesehen.«
    »Kein Gespenst. Einen toten Mann.«
    »Wo?«
    Gabriel nickte zu einer Gestalt in einem grauen Wollmantel hinüber.
    »Dort drüben.«

5
    C OVENT G ARDEN , L ONDON
    Selbstmordattentäter verraten sich oft durch bestimmte Anzeichen. Lippen können sich unbeabsichtigt bewegen, während letzte Gebete aufgesagt werden. Augen können glasig ins Leere starren. Und das Gesicht kann um die Kinnpartie herum unnatürlich blass wirken, was darauf hinweist, dass ein verräterischer struppiger Vollbart erst vor Kurzem abgenommen worden ist. Der tote Mann ließ keines dieser Anzeichen erkennen. Sein Mund war geschlossen. Sein Blick war klar und zielgerichtet. Und sein Gesicht war gleichmäßig gebräunt. Er hatte sich seit Längerem regelmäßig rasiert.
    Was ihn von allen anderen unterschied, war eine von der linken Schläfe herablaufende dünne Rinne von Schweißtropfen. Weshalb schwitzte er an einem kühlen Herbstnachmittag? Wieso waren seine Hände in den Manteltaschen vergraben, wenn ihm heiß war? Und warum war dann auch sein Mantel – mindestens eine Nummer zu groß, fand Gabriel – bis obenhin zugeknöpft? Hinzu kam sein Gang. Selbst einem sportlichen Mann Anfang zwanzig fällt es schwer, sich scheinbar normal zu bewegen, wenn er fünfundzwanzig Kilo Sprengstoff, Nägel und Kugellagerkugeln zu schleppen hat. Als der tote Mann auf der Wellington Street

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