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Der Hintermann

Der Hintermann

Titel: Der Hintermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Attentate. Das erste hatte sich um 11.46   Uhr ereignet, das zweite um 12.03   Uhr. Die Zahlen konnten Jahre des Gregorianischen Kalenders bezeichnen, aber Gabriel konnte keinen Zusammenhang erkennen, so sehr er sich auch bemühte.
    Aus seinem Gehirn strich er die Stunden der Anschlagszeiten und konzentrierte sich rein auf die Minuten. Sechsundvierzig Minuten nach, drei Minuten nach . Dann begriff er. Diese Zeitangaben waren ihm so vertraut wie Tizians Pinselführung. Sechsundvierzig Minuten nach, drei Minuten nach . Das waren zwei der berühmtesten Augenblicke in der Geschichte des Terrorismus gewesen – die Minuten, in denen die beiden entführten Verkehrsmaschinen am 11.   September 2001 ins World Trade Center gerast waren: American Airlines Flight 11 um 8.46   Uhr in den Nordturm, United Airlines Flight 175 um 9.03   Uhr in den Südturm. Das dritte Flugzeug, das an diesem Morgen sein Ziel getroffen hatte, war American Airlines Flight 77 gewesen, als die Maschine in die Westfassade des Pentagons gerast war. Das war um 9.37   Uhr gewesen – 14.37   Uhr in London.
    Gabriel sah auf seine Quarzuhr, die wenige Sekunden nach 14.35   Uhr anzeigte. Als er anschließend den Kopf hob, marschierte der Mann in dem grauen Mantel rasch weiter, hatte die Hände in den Manteltaschen vergraben und schien die Menschen um ihn herum gar nicht wahrzunehmen. Als Gabriel ihm folgte, vibrierte sein Handy erneut. Diesmal nahm er den Anruf entgegen und hörte Chiaras Stimme. Er erklärte ihr, der Selbstmordattentäter sei kurz davor, sich im Covent Garden Market in die Luft zu sprengen, und bat sie, Verbindung mit dem MI5 aufzunehmen. Dann steckte er das Telefon wieder ein und begann, die Entfernung zu der Zielperson zu verringern. Er fürchtete, dass bald viele Unschuldige sterben würden, und fragte sich, ob er das irgendwie verhindern konnte.

6
    C OVENT G ARDEN , L ONDON
    Es gab natürlich noch eine weitere Möglichkeit – dass der wenige Schritte vor Gabriel gehende Mann nichts unter seinem Mantel hatte als ein paar zusätzliche Kilogramm Körperfett. Gabriel erinnerte sich an den Fall des in Brasilien geborenen Elektrikers Jean Charles de Menezes, den Londoner Polizisten in der U-Bahn-Station Stockwell erschossen hatten, weil sie ihn mit einem gesuchten islamischen Terroristen verwechselt hatten. Die zuständige Staatsanwaltschaft hatte sich geweigert, gegen die Beamten Anklage zu erheben – eine Entscheidung, gegen die Menschenrechtsaktivisten und Bürgerrechtler in aller Welt entrüstet protestiert hatten. Gabriel wusste, dass er unter vergleichbaren Um„ständen nicht mit solcher Milde rechnen konnte. Das bedeutete, dass er sich seiner Sache hundertprozentig sicher sein musste, bevor er handelte. Eines stand jedoch für ihn fest: Er war überzeugt, dass der Attentäter wie ein Maler seine Signatur hinterlassen würde, bevor er den Zündknopf drückte. Er würde wollen, dass seine Opfer wussten, dass ihr bevorstehender Tod nicht sinnlos war, sondern dass sie im Namen des Heiligen Krieges und im Namen Allahs geopfert wurden.
    Vorerst blieb Gabriel nichts anderes übrig, als dem Mann zu folgen und abzuwarten. Langsam, unauffällig verringerte er den Abstand weiter, während er zugleich kleine Kurskorrekturen vornahm, um immer freies Schussfeld zu haben. Sein Blick blieb auf die untere Hälfte des Hinterkopfs des Mannes gerichtet. Wenige Zentimeter darunter saß der Hirnstamm, der für die Kontrolle der Sinnes- und Bewegungsorgane des menschlichen Körpers entscheidend war. Wurde der Hirnstamm durch einen Schuss verletzt, konnte der Selbstmordattentäter den Zündknopf nicht mehr drücken. Verfehlte Gabriel ihn jedoch, konnte der Märtyrer seinen Auftrag noch im letzten Todeszucken ausführen. Gabriel gehörte zu den weltweit wenigen Männern, die schon einmal einen Terroristen erschossen hatten, bevor er seine Bombe zünden konnte. Er wusste, dass der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg nur Bruchteile einer Sekunde ausmachen würde. Ein Misserfolg würde Dutzende von Unbeteiligten das Leben kosten – vielleicht auch Gabriel selbst.
    Der tote Mann ging durch den Torbogen auf die Piazza, wo jetzt weit mehr Gedränge herrschte. Ein Cellist spielte eine Partita von Bach. Ein Jimi-Hendrix-Imitator mühte sich mit einer Elektrogitarre ab. Ein gut angezogener Mann, der auf einer Kiste stand, sprach mit lauter Stimme über Gott und den Irakkrieg. Der Selbstmordattentäter hielt direkt auf die Platzmitte zu, wo die

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