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Der Hirte (German Edition)

Der Hirte (German Edition)

Titel: Der Hirte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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„Und ich bin sicher, dass ich nicht die Hälfte davon gesehen habe. Das Leittier habe ich gesehen.“ Er schwieg. Unwillkürlich blickte er sich zu den Kindern um. Sie standen einige Schritte abseits. Johannes knetete Schneebälle und gab sie Blanka, die sie auf einen Haufen schichtete wie Wertgegenstände. In Rainalds Erinnerung ertönte Blankas glückliches Kichern, wann immer Johannes sich Zeit genommen hatte, mit ihr zu spielen. Es schien, dass die Erinnerung einen sehr weiten Weg durch die Zeit zurückzulegen hatte. Das Gesicht der Kleinen war starr. „Es ist unnatürlich“, flüsterte er dann.
„Es gibt keine unnatürlichen Tiere.“
„Es ist unnatürlich, dass es der Anführer ist.“
„Weshalb?“
„Es ist ein Hund.“
Sie lauschten beide dem Heulen. Mittlerweile hatte sich eine dritte Stimme hinzugesellt – aus einer dritten Richtung. Die Klosterschwester deutete in die Richtung, in die der Weg führte.
„Von hier kommt kein Geheul“, sagte sie. „Sie haben uns noch nicht vollkommen umzingelt.“
„Sie haben uns vollkommen umzingelt“, versetzte Rainald. „Das da ist nur die Richtung, in die sie uns treiben wollen.“
Sie wandte den Blick vom Weg ab und musterte ihn erneut. „Du wirst uns alle in Sicherheit bringen“, sagte sie. „Gott hat dich nicht umsonst an diesen Platz gestellt.“
„Ein Hund, Schwester“, sagte Rainald. „Wölfe verachten Hunde. Habt Ihr eine Ahnung, Schwester, was ein Hund sein muss, damit ein Wolfsrudel ihn aufnimmt, geschweige denn zum Leitwolf wählt? Er muss ein Mörder sein, ein absolut wahnsinnig gewordener, blutdürstiger Mörder. Entweder ist er seinem Herrn davongelaufen, oder sein Herr ist umgekommen und hat ihn allein zurückgelassen. Auf jeden Fall ist er zu einer reißenden Bestie geworden.“
„Der Hund hat sich sein Schicksal vielleicht nicht ausgesucht.“
Rainald, der plötzlich das Gefühl hatte, dass das Gespräch in eine ungewollte Richtung lief, biss die Zähne zusammen. „Wenn ich ihn vor meinen Bogen bekomme, töte ich ihn“, sagte er. „Selbst wenn er auf dem Bauch liegt und um Gnade bettelt.“
„Du hast nur ein Schwert.“
„Der Bogen und die meisten Vorräte waren auf dem Packpferd. Es waren drei Wölfe; sie kamen lautlos zwischen den Bäumen hervor und stürzten sich auf uns. Caesar stieg hoch, und ich hatte alle Hände voll zu tun, ihn unter Kontrolle zu bekommen und dafür zu sorgen, dass die Kinder nicht herunterfielen. Das Packpferd riss sich los und rannte davon, und plötzlich wimmelte alles von Wölfen, die ihm nachsetzten. Ich habe es nicht mehr wieder gesehen. Ich gab Caesar die Sporen, aber er weigerte sich, in den Wald hineinzurennen. Das Letzte, das ich sah, war dieser große, struppige Schäferhund, der hinter den anderen hertrottete wie ein König, der seinen Soldaten auf das Schlachtfeld folgt, und mir über die Schulter einen Blick zuwarf, der mir das Herz erstarren ließ.“ Rainald schloss den Mund, als ihm klar wurde, dass er mehr zugegeben hatte, als ihm lieb war.
„Du musst die Kinder in die Stadt bringen“, sagte die Schwester. „Dein Sohn hat Recht. In ein paar Stunden ist es dunkel. Wo immer die Burg deines Freundes liegt – wenn du sie nicht vor Anbruch der Dunkelheit erreichen kannst, ist sie als Ziel wertlos. Außerdem musst du in die Stadt, um über die Brücke zu kommen.“
„Ihr seid nicht aus der Gegend, Schwester, stimmt’s?“
„Hätte ich mich sonst im Wald verirrt?“
Vor Rainalds innerem Auge tauchte das Bild eines kleinen, verwahrlosten Mannes auf. Der Mann stand auf einer Art mächtigem Floß und hielt sich an einem dicken Tau fest, das über den Fluss hing. Hinter ihm lehnte sich ein Helfer an eine Stange, den Kopf gesenkt und in einer löchrigen Kapuze versteckt, bereit, die Fähre sofort ins Wasser zu stoßen, falls jemand eine falsche Bewegung machte. Der Fährmann zuckte mit den Schultern. ‚So einen hab ich nich geseh’n, sagte er. ‚Der lässt sich auch nich übersetzen, der reitet so schnell er kann in’n Wald rein, damit ihr ihn nich kriegt.’ Der Anführer der Soldaten zuckte ebenfalls mit den Schultern. ‚Den Wald haben wir abgeriegelt’, sagte er. ‚Nur der Teufel persönlich käme da durch. Er sitzt in der Falle, und irgendwann muss er rauskommen. Wenn er bei dir auftaucht, darfst du ihn auf keinen Fall übersetzen.’ ‚Is’ klar, Euer Gnaden’, sagte der Fährmann und fing die Münze auf, die ihm zugeworfen wurde. Die Männer wendeten ihre Pferde und

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