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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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geflochten waren, damit mich eines Tages jemand erwählte. Von den jungen Männern, die mich an den Feiertagen zum Tanz aufforderten, mochte ich keinen, aber ich wusste, dass ich bald einen von ihnen heiraten musste, damit ich meinen Eltern nicht zur Last fiel. Meine Schwester Èva war schon lange mit der ungarischen Familie, für die sie arbeitete, in Budapest, und manchmal schickte sie uns etwas Geld. Einmal schickte sie mir sogar ein Paar gute Schuhe, ein Paar Stadtschuhe aus Leder, auf die ich sehr stolz war.
    So sah mein Leben aus, als ich Professor Rossi kennen lernte. Es war ungewöhnlich, dass Fremde in unser Dorf kamen, besonders von so weit her, aber eines Tages redeten alle davon, dass ein Mann aus Bukarest in die Taverne gekommen sei, und mit ihm jemand aus einem anderen Land. Sie erkundigten sich nach den Dörfern, die den Fluss säumten, und nach der Burgruine, die einen Tagesmarsch von unserem Dorf entfernt den Fluss hinauf in den Bergen lag. Der Nachbar, der bei uns hereinsah, um uns das zu erzählen, flüsterte meinem Vater dazu noch leise etwas zu. Mein Vater, der auf der Bank vor der Tür saß, bekreuzigte sich und spuckte in den Schmutz. Schund und Unsinn, sagte er. Niemand sollte solche Fragen stellen. Damit lädt man den Teufel ein.
    Aber ich war neugierig. Ich ging Wasser holen, um mehr zu erfahren, und als ich auf den Dorfplatz kam, sah ich die Fremden an einem der beiden Tische vor unserer Taverne sitzen, wo sie mit einem alten Mann sprachen, der immer da hockte. Einer der Fremden war groß und dunkel wie ein Zigeuner, aber er war wie ein Städter gekleidet. Der andere trug ein braunes Jackett, wie ich es noch nie gesehen hatte, dazu weite Hosen, die in Wanderstiefeln steckten, und einen braunen Hut auf dem Kopf. Ich blieb auf der anderen Seite des Platzes, nahe beim Brunnen, von wo ich das Gesicht des Ausländers erkennen konnte. Zwei meiner Freundinnen wollten ihn näher betrachten und flüsterten mir zu, mit ihnen zu kommen. Ich folgte ihnen nur widerstrebend, weil ich wusste, dass das meinem Vater nicht gefallen würde.
    Als wir an der Taverne vorbeikamen, hob der ausländische Mann den Blick, und zu meiner Überraschung sah ich, dass er jung und hübsch war, mit einem goldenen Bart und hellen blauen Augen wie die Bewohner der deutschen Ansiedlungen in unserem Land. Er rauchte Pfeife und sprach ruhig mit seinem Begleiter. Eine abgetragene Segeltuchtasche mit Schulterträgern lag auf dem Boden neben ihm, und er schrieb etwas in ein Buch mit einem Pappdeckeleinband. Den Ausdruck auf seinem Gesicht mochte ich sofort – ein bisschen zerstreut, sanft und doch sehr wach, alles zur gleichen Zeit. Zum Gruß tippte er an den Hut und sah schnell wieder weg, und auch der hässliche Mann berührte seinen Hut und sah zu uns herüber, aber dann wandten sie sich wieder dem alten Ivan zu und schrieben Verschiedenes auf. Der große Mann schien mit Ivan auf Rumänisch zu reden, zwischendurch drehte er sich dem Jüngeren zu und sagte ihm etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Schnell lief ich hinter meinen Freundinnen her, schließlich wollte ich nicht, dass der Fremde annahm, ich sei vorwitziger als sie.
    Am nächsten Morgen hieß es im Dorf, dass die Fremden einem jungen Mann in der Taverne Geld gegeben hätten, damit er ihnen den Weg zur verfallenen Burg Poenari zeigte, hoch über dem Arges. Sie würden über Nacht bleiben. Ich hörte, wie mein Vater zu einem seiner Freunde sagte, dass sie nach der Burg von Fürst Vlad suchten. Er erinnere sich daran, dass der Narr mit dem Zigeunergesicht schon einmal danach gesucht habe. Ein Narr lernt nie etwas, sagte mein Vater voller Ärger. Fürst Vlad – den Namen hatte ich noch nie gehört. Die Menschen in unserem Dorf nannten die Burg für gewöhnlich Poenari oder Arefu. Mein Vater sagte, der Mann, der die Fremden dorthin führe, sei wegen des bisschen Geldes übergeschnappt. Er schwor, dass ihn kein Gold der Welt je dazu bringen werde, dort über Nacht zu bleiben, denn die Ruine sei voller böser Geister. Wahrscheinlich suche der Fremde nach einem Schatz, was dumm sei, denn der Schatz des Mannes, der dort gelebt habe, sei tief vergraben, und ein gottloser Fluch laste auf ihm. Mein Vater sagte, wenn jemand diesen Schatz fände und man den Teufel aus ihm austriebe, dann stünde ihm selbst ein Teil davon zu, etwas davon gehöre rechtmäßig ihm. Dann bemerkte er, wie ich und meine Schwestern ihm zuhörten, woraufhin er verstummte.
    Was mein Vater gesagt

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