Der Historiker
lächelte dabei wieder. Familia? Er schien nach Worten zu tasten.
Mein Familienname ist Getzi, sagte ich ihm.
Verwunderung erfüllte sein Gesicht. Er zeigte zum Fluss hinunter, dann auf mich, und wiederholte etwas immer wieder, gefolgt vom Wort Drakulya, das ich als des Drachens verstand. Ich begriff nicht, was er meinte. Schließlich schüttelte er den Kopf und seufzte. Morgen, sagte er. Er deutete auf mich, sich selbst, den Ort, an dem wir standen, und auf die Sonne am Himmel. Ich verstand, dass er mich fragte, ob wir uns am nächsten Abend zur gleichen Zeit hier wieder treffen könnten. Ich wusste, mein Vater würde sehr zornig werden, wenn er davon erfuhr. Mit einem Zeichen auf den Boden unter unseren Füßen legte ich den Finger auf die Lippen. Sonst fiel mir keine Möglichkeit ein, ihm zu erklären, mit niemandem im Dorf über unser Treffen zu sprechen. Er sah erstaunt aus, aber dann legte auch er einen Finger an die Lippen und lächelte mich an. Noch bis zu dieser Minute hatte ich so etwas wie Angst vor ihm verspürt, aber sein Lächeln war freundlich, und seine blauen Augen blitzten. Wieder versuchte er, mir die Münze zurückzugeben, und als ich sie erneut ablehnte, verbeugte er sich, setzte den Hut auf und ging zurück in den Wald, in die Richtung, aus der er gekommen war. Ich begriff, dass er mich allein ins Dorf zurückkehren lassen wollte, und ich lief schnell los, ohne mir noch einen Blick hinter ihm her zu erlauben.
Den ganzen Abend über, erst am Tisch mit meinem Vater, dann beim Abwaschen und Abtrocknen des Geschirrs mit meiner Mutter, dachte ich an den Fremden. Ich dachte an seine fremden Kleider, sein höfliches Sichverbeugen, seinen Ausdruck, der gleichzeitig zerstreut und aufmerksam war, und seine schönen hellen Augen. Auch den ganzen nächsten Tag dachte ich an ihn, während ich mit meinen Schwestern spann und wob, kochte, Wasser holte und auf dem Feld arbeitete. Mehrmals schalt mich meine Mutter, weil ich nicht darauf achtete, was ich tat. Abends blieb ich zurück, um noch mit dem Unkraut jäten weiterzumachen, und fühlte mich erlöst, als mein Vater und meine Brüder bereits ins Dorf zurückgingen.
Kaum dass sie gegangen waren, eilte ich zum Waldrand. Der Fremde saß an einen Baum gelehnt da, und als er mich kommen sah, sprang er auf und bot mir einen Platz auf einem Baumstamm an, der neben dem Weg lag. Aber ich hatte Angst, jemand aus dem Dorf könne vorbeikommen, und so führte ich ihn tiefer in den Wald, wobei mir mein Herz bis zum Hals schlug. Schließlich setzten wir uns auf zwei Felsen. Der Wald war voll vom Abendgesang der Vögel. Es war Frühsommer, alles war sehr grün und die Luft warm.
Der Fremde zog die Münze, die ich ihm gegeben hatte, aus der Tasche und legte sie vorsichtig auf den Boden. Dann holte er ein paar Bücher aus seinem Rucksack und begann darin herumzublättern. Später begriff ich, dass es rumänische Wörterbücher in einer Sprache waren, die er verstand. Sehr langsam, wobei er immer wieder in seine Bücher sah, fragte er mich, ob ich noch andere Münzen gesehen hatte wie die dort vor ihm. Ich sagte Nein. Er sagte, das Wesen auf der Münze sei ein Drache, und er fragte mich, ob ich diesen Drache je schon irgendwo anders gesehen hätte, auf einem Haus oder in einem Buch. Ich sagte, ich hätte einen auf meiner Schulter.
Erst begriff er nicht, was ich ihm sagen wollte. Ich war stolz darauf, dass ich unser Alphabet schreiben und auch ein wenig lesen konnte – zu meiner Kinderzeit hatten wir eine Zeit lang eine Dorfschule gehabt, und ein Priester hat uns unterrichtet. Das Wörterbuch des Fremden verwirrte mich, aber zusammen fanden wir das Wort: Schulter. Er sah mich verblüfft an und fragte wieder: Dracula? Dabei hielt er die Münze hoch. Ich berührte die Schulter meiner Bluse und nickte. Er sah auf den Boden und wurde rot, und plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich die Mutige war. Ich öffnete meine Wollweste und zog sie aus, dann band ich den Ausschnitt meiner Bluse auf. Mein Herz schlug schwer, aber etwas war über mich gekommen, und ich konnte mich nicht mehr bremsen. Er sah weg, ich zog mir die Bluse über die Schulter und deutete darauf.
Ich konnte mich nicht daran erinnern, den kleinen dunkelgrünen Drachen nicht auf meiner Schulter zu haben. Meine Mutter sagte, dass in der Familie meines Vaters jeweils ein Kind aus jeder Generation einen solchen Drachen trage und mein Vater mich ausgewählt habe, weil er dachte, ich würde einmal die Hässlichste.
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