Der Historiker
passiert ist, Madam.‹
›Sie hatten guten Grund zur Angst‹, sagte ich zu dem alten Gelehrten. ›Aber wir hoffen, dass es noch nicht zu spät für Professor Rossi ist.‹
Er richtete sich in seinem Stuhl auf. ›Ja. Wenn wir irgendwie Sveti Georgi finden könnten. Zuerst müssen wir nach Rila und die anderen Briefe von Bruder Kyrill durchsehen. Wie ich sagte, habe ich sie bisher nie mit der Chronik des Zacharias in Verbindung gebracht. Ich habe keine Kopien davon hier, und die Verantwortlichen in Rila haben ihre Zustimmung verweigert, die Briefe zu veröffentlichen, obwohl einige Historiker – mich eingeschlossen – darum gebeten haben. Und in Rila ist noch jemand, mit dem ich gerne sprechen würde. Obwohl er uns vielleicht auch nicht helfen kann.‹
Stoichev machte den Eindruck, als hätte er noch mehr zu sagen, aber in diesem Augenblick hörten wir kräftige Fußtritte auf der Treppe. Er versuchte aufzustehen und warf mir einen bittenden Blick zu. Ich packte den Drachenband und lief damit in den Nebenraum, wo ich ihn, so gut ich konnte, hinter einer Kiste versteckte. Ich war gerade rechtzeitig wieder bei Stoichev und Helen, als Ranov die Tür zum Arbeitszimmer öffnete.
›Ah‹, sagte er. ›Eine Historikerkonferenz. Sie fehlen auf Ihrem eigenen Fest, Professor.‹ Er wühlte unbeschämt in den Büchern und Papieren auf dem Tisch und nahm schließlich die alte Zeitschrift in die Hand, aus der uns Stoichev Teile der Chronik des Zacharias vorgelesen hatte. ›Ist das hier das Objekt Ihrer Aufmerksamkeit?‹ Er lächelte fast. ›Vielleicht sollte ich es dann auch lesen, um mich etwas zu bilden. Es gibt immer noch einiges über das mittelalterliche Bulgarien, das ich nicht weiß. Und Ihre so ablenkende Nichte ist doch nicht so sehr an mir interessiert, wie ich gedacht hatte. Im schönsten Eck Ihres Gartens habe ich sie ernsthaft zu etwas eingeladen, aber sie will einfach nicht.‹
Stoichev lief vor Wut rot an und schien schon etwas sagen zu wollen, aber Helen rettete ihn zu meiner Überraschung. ›Bleiben Sie mit Ihren schmutzigen Bürokratenfingern von dem Mädchen‹, sagte sie und sah Ranov dabei in die Augen. ›Uns sollen Sie belästigen, nicht sie.‹ Ich fasste sie am Arm und hoffte, dass sie den Mann nicht wütend machte. Das Letzte, was wir brauchten, war ein politischer Eklat. Aber sie und Ranov warfen sich beide nur einen langen, abschätzenden Blick zu und wandten sich dann beide ab.
Bis dahin hatte Stoichev sich wieder gefangen. ›Es wäre äußerst hilfreich für die Arbeit unserer Besucher, wenn Sie es arrangieren könnten, dass sie nach Rila fahren‹, sagte er ruhig zu Ranov. ›Ich würde selbst gerne mit ihnen fahren, und es wäre mir eine Ehre, ihnen persönlich die Bibliothek dort zu zeigen.‹
›Rila?‹ Ranov betrachtete die Zeitschrift in seiner Hand. ›Sehr gut. Das wird unser nächster Ausflug. Vielleicht geht es übermorgen. Ich werde Sie benachrichtigen, Professor, wann Sie uns dort treffen können.‹
›Können wir nicht gleich morgen fahren?‹ Ich versuchte, möglichst beiläufig zu klingen.
›Sie haben es also eilig?‹ Ranov hob die Brauen. ›Es braucht Zeit, so eine große Sache zu arrangieren.‹
Stoichev nickte. ›Wir werden geduldig sein, und die Professoren können bis dahin die Sehenswürdigkeiten Sofias genießen. Nun, meine Freunde, das war ein angenehmer Ideenaustausch, aber Kyrill und Metodij werden nichts dagegen haben, wenn wir auch essen, trinken und fröhlich sind, wie man so sagt. Kommen Sie, Miss Rossi‹ – er streckte seine gebrechliche Hand aus, und Helen half ihm auf –, ›geben Sie mir Ihren Arm, und wir werden einen Tag des Lehrens und Lernens feiern.‹
Die anderen Gäste hatten sich unter der Pergola eingefunden, und wir sahen bald, warum: Drei junge Männer packten Musikinstrumente aus. Ein schlaksiger Bursche mit dichtem dunklem Haar probierte die Tasten eines schwarz-silbernen Akkordeons. Ein anderer machte ein paar Griffe auf einer Klarinette, während der dritte Musiker eine große lederbezogene Trommel und einen langen Stab mit gepolsterten Enden auspackte. Sie setzten sich nebeneinander auf Stühle, grinsten sich an, spielten ein paar Takte und rückten die Stühle noch einmal zurecht. Der Klarinettist legte seine Jacke ab.
Endlich tauschten sie einen Blick, und los ging es. Wie aus dem Nichts holten sie die lebhafteste Musik, die ich je gehört hatte. Stoichev strahlte uns von seinem Thron hinter dem Lammbraten an, und
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