Der Historiker
Kopf voller Rumänien-Reisepläne, kam es in meiner Wohnung in Sofia zu einer schrecklichen Geschichte.‹
Wieder machte er eine Pause und schloss die Augen. ›Ich versuche immer, nicht an jenen Tag zu denken. Aber zuerst muss ich Ihnen erklären, dass ich eine kleine Wohnung in der Nähe der Rimskaya stena hatte, der römischen Mauer in Sofia, einem sehr alten Bauwerk, und ich mochte diese Wohnung sehr, weil sie ringsum von der Geschichte der Stadt umgeben war. Ich war zum Einkaufen gegangen und hatte meine Unterlagen und Bücher über Bachkovo und andere Klöster offen auf dem Tisch liegen lassen. Als ich zurückkam, sah ich, dass jemand meine Sachen durchwühlt hatte. Bücher waren aus dem Regal gefegt und mein Schrank durchsucht worden. Auf dem Schreibtisch, quer über meine Unterlagen, lief ein kleines Rinnsal Blut. Sie wissen, wie Tinte… Papier befleckt…‹ Er brach ab und sah uns eindringlich an. ›Mitten auf dem Tisch lag ein Buch, das ich nie zuvor gesehen hatte…‹ Er erhob sich, schlurfte wieder in den Raum nebenan, und wir hörten ihn Bücher hin und her bewegen. Ich hätte aufstehen sollen, um ihm zu helfen, aber ich saß nur da und blickte hilflos zu Helen, die ebenfalls wie erstarrt schien.
Schließlich kam Stoichev mit einem Folianten zurück. Er war in abgegriffenes Leder gebunden. Er legte ihn vor uns hin, und wir beobachteten ihn beim Öffnen. Seine alten Hände hatten Mühe beim Blättern. Er zeigte uns die vielen leeren Seiten und dann in der Mitte die große Darstellung. Der Drachen wirkte hier kleiner, weil die großen Seiten des Buches um ihn herum mehr Platz ließen, aber es war sicher der gleiche Holzschnitt, bis hin zu dem Fleck, der mir auf dem von Hugh James aufgefallen war. Es gab noch einen weiteren Fleck auf dem vergilbten Rand, in der Nähe der Drachenklauen. Stoichev deutete darauf, aber er schien so von seinen Gefühlen überwältigt – Abscheu, Angst –, dass er für einen Moment vergaß, Englisch zu sprechen. ›Kryv‹, sagte er. ›Blut.‹ Ich beugte mich näher heran. Der braune Fleck war eindeutig ein Fingerabdruck.
›Mein Gott.‹ Ich musste an meine arme Katze denken und an Rossis Freund Hedges. ›War noch jemand oder irgendetwas anderes im Zimmer? Was haben Sie getan, als Sie das gesehen haben?‹
›Es war sonst niemand im Zimmer‹, sagte er mit leiser Stimme. ›Die Tür war abgeschlossen gewesen und auch abgeschlossen, als ich zurückkam, um diese schreckliche Szenerie zu entdecken. Ich rief die Polizei, und sie suchten überall, und am Ende – wie nennen Sie es? – analysierten sie das Blut und stellten einige Vergleiche an. Es war leicht für sie herauszufinden, von wem das Blut stammte.‹
›Von wem?‹ Helen beugte sich vor.
Stoichevs Stimme wurde noch leiser, so dass auch ich mich vorbeugen musste, um die Worte zu verstehen. Schweiß stand auf seinem faltendurchzogenen Gesicht. ›Es war mein eigenes‹, sagte er.
›Aber…‹
›Nein, natürlich nicht. Ich war nicht da gewesen. Aber die Polizei glaubte, ich hätte das alles selbst so zugerichtet. Das Einzige, was nicht passte, war dieser Fingerabdruck. Sie sagten, sie hätten nie einen solchen menschlichen Abdruck gesehen – er hatte zu wenig Linien. Sie gaben mir mein Buch und meine Unterlagen zurück, und ich musste einiges bezahlen, weil ich mir mit dem Gesetz einen Spaß erlaubt hatte. Ich verlor fast meine Stellung als Hochschullehrer.‹
›Und da haben Sie Ihre Nachforschungen abgebrochen?‹, riet ich.
Stoichev hob hilflos die mageren Schultern. ›Es ist die einzige Sache, die ich nie zu Ende geführt habe. Vielleicht hätte ich weitergemacht, wenn nicht das hier gewesen wäre.‹ Er blätterte langsam zum zweiten Blatt des Bandes. ›Das hier‹, wiederholte er, und wir sahen auf der Seite ein einzelnes Wort, das mit alter verblichener Tinte in schöner archaischer Handschrift geschrieben war. Ich kannte mittlerweile genug von Kyrills berühmter Schriftsprache, um das Wort zu enträtseln, aber der erste Buchstabe machte mir eine Sekunde lang Schwierigkeiten. Helen las leise vor. ›STOICHEV‹, flüsterte sie. ›Mein Gott, Sie fanden Ihren eigenen Namen darin. Wie schrecklich.‹
›Ja, meinen eigenen Namen, und zwar in einer Schrift und mit einer Tinte geschrieben, die beide eindeutig im Mittelalter datieren. Ich habe es immer bedauert, dass ich zu feige war, um weiterzuforschen, aber ich hatte Angst. Ich dachte, mir könnte etwas passieren. Wie das, was Ihrem Vater
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