Der Historiker
die Sie neben der Druckerpresse finden, und beginnen Ihren Katalog. Meine Bücher sind bereits in inhaltliche Kategorien eingeteilt, nicht nach Jahrhunderten oder Jahrzehnten. Sie werden sehen. Es gibt auch eine Schreibmaschine, die ich Ihnen besorgt habe. Vielleicht möchten Sie den Katalog auf Latein anlegen, aber das überlasse ich Ihnen. Und natürlich dürfen Sie jetzt und zu aller Zeit lesen, was immer Sie lesen wollen. «
Damit nahm er ein Buch vom Tisch und schlug es auf. Ich hatte Angst, es ihm nicht gleichzutun, und so griff ich nach dem ersten Band, der sich mir bot. Wie sich herausstellte, war es eine frühe Ausgabe von Machiavellis Der Fürst, begleitet von einer Serie Diskurse über Macht und Moral, von denen ich nie gehört hatte, geschweige denn, dass ich sie in Händen gehalten hätte. In meinem gegenwärtigen Zustand konnte ich nichts davon entziffern, aber ich saß da, starrte die Buchstaben an und blätterte von Zeit zu Zeit eine Seite um. Dracula schien völlig in seinem Buch versunken. Verstohlen warf ich einen Blick auf ihn und fragte mich, wie er sich an diese nächtliche, unterirdische Existenz eines Gelehrten gewöhnt hatte, nach einem Leben, das dem militärischen wie politischen Kampf gewidmet war.
Endlich erhob er sich wieder und legte sein Buch zur Seite. Ohne ein Wort schritt er ins Dunkel des großen Saales. Ich verlor ihn aus dem Blick. Dann hörte ich ein trockenes, kratzendes Geräusch, wie das eines Tieres, das im Erdboden scharrt, oder das Anreißen eines Zündholzes, obwohl kein Licht aufleuchtete, und fühlte mich fürchterlich allein. Ich strengte die Ohren an, konnte aber nicht sagen, wohin er gegangen war. Wenigstens würde er sich heute Nacht nicht mehr an mir laben. Voller Furcht überlegte ich, wofür er mich wohl aufsparte, wo er mich doch weit schneller zu seinem Günstling machen und dabei gleich auch noch seinen Blutdurst hätte stillen können. Stunden saß ich in meinem Stuhl und stand nur zwischendurch auf, um meinen Körper zu strecken. Ich getraute mich nicht zu schlafen, solange es Nacht war, muss aber dennoch vor Anbruch der Dämmerung ein wenig eingenickt sein, denn plötzlich schlug ich die Augen auf, spürte eine Veränderung in der Luft, obwohl kein neues Licht in das dunkle Zimmer drang, und sah Draculas Umriss mit dem Umhang vom Kamin her auf mich zukommen. »Guten Tag«, sagte er leise und wandte sich in die Richtung, in der mein Sarkophag lag. Ich war aufgestanden, von seiner Anwesenheit getrieben, und verlor ihn gleich wieder aus dem Blick. Tiefe Stille betäubte meine Ohren.
Schließlich nahm ich meine Kerze, entzündete sie wieder am Kandelaber und dazu die Kerzen, die ich in den Leuchtern entlang der Wände fand. Auf vielen der Tische entdeckte ich mehrere Keramiklampen und kleine eiserne Laternen, die ich anmachte. Die hellere Beleuchtung ließ mich entspannen, obwohl ich mich fragte, ob ich je wieder das Tageslicht sehen würde oder ob für mich bereits eine dunkle, kerzenerleuchtete Ewigkeit angebrochen war, die sich vor mir wie eine Abart der Hölle erstreckte. Wenigstens konnte ich jetzt ein wenig mehr von dem Raum sehen. Er reichte tief in jede Richtung, und die Wände standen voller großer Schränke und Bücherregale. Überall erkannte ich Bücher, Kästen, Schriftrollen, Manuskripte, Stapel und Reihen voll mit Draculas riesiger Sammlung. An einer Wand sah ich die undeutlichen Silhouetten von drei offenen Sarkophagen. Mit meiner Kerze in der Hand, trat ich näher heran. Die beiden kleineren waren leer; in einem von ihnen musste ich erwacht sein.
Dann trat ich an den großen Sarkophag, ein Grabdenkmal, das mir im Kerzenlicht riesig erschien, weit herrschaftlicher als die anderen und edel in seinen Proportionen. Den Längsrand zierte ein einziges, in lateinischen Buchstaben in den Stein gemeißeltes Wort: DRACULA. Ich hob die Kerze und sah hinein, fast gegen meinen Willen. Da lag sein massiger Körper, reglos. Zum ersten Mal konnte ich sein verschlossenes, unbarmherziges Gesicht klar aus der Nähe sehen. Ich konnte meinen Blick kaum von ihm lösen, trotz meiner Abscheu. Seine Brauen waren in tiefe Falten gelegt, als habe er einen Albtraum, die Augen standen offen und starrten ins Nichts, so dass er eher tot als schlafend aussah, seine Haut war von wächsernem Gelb, die langen schwarzen Wimpern wirkten wie fürstlich und seine strengen, beinahe gut aussehenden Züge wie durchscheinend. Eine Flut von dunklem Haar umfloss seine Schultern und
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