Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
Vom Netzwerk:
dass er mich nicht zurück zu meinem Sarkophag führen würde.
    Im spärlichen Licht unserer Kerzen begann ich Dinge zu erkennen, die ich zuvor nicht hatte sehen können. Wundervolle Dinge. Ich vermochte lange Tische vor uns auszumachen, Tische von uralter Solidität. Und auf diesen Tischen lagen Stapel über Stapel Bücher, brüchige, ledergebundene Bücher und vergoldete Einbände, die das Flackern meiner Kerzenflamme zurückwarfen. Es gab auch andere Objekte – niemals hatte ich solch ein Tintenfass gesehen, solch merkwürdige Schreibfedern und Stifte. Da lag ein Stapel Pergament, das im Kerzenlicht leuchtete, und daneben stand eine alte Schreibmaschine, in der dünnes Papier eingespannt war. Ich sah das Funkeln von juwelenbesetzten Einbänden und Kästen, sich wellende Manuskripte in Messingkörben. Es gab riesige Folianten und Quartbände in weichem Leder und ganze Reihen modernerer Bücher auf langen Regalbrettern. Wohin ich mich auch wandte, wir waren von Büchern umgeben. Alle Wände waren damit bedeckt. Ich hielt meine Kerze hoch und konnte hier und da einen Titel erkennen, manchmal elegant erblühendes Arabisch in der Mitte eines roten Ledereinbands, dann wieder Titel in westlichen Sprachen, die ich zu lesen vermochte. Die meisten der Bücher waren jedoch zu alt, um Titel zu haben. Es war ein unvergleichliches Lager, und wider Willen juckte es mir in den Fingern, einige dieser Bücher aufzuschlagen und die Handschriften in ihren Holzkästen zu berühren.
    Dracula drehte sich zu mir um und hielt seine Kerze in die Höhe, und das Licht brach sich in den Juwelen auf seiner Samtkappe – Topasen, Smaragden, Perlen. Seine Augen waren sehr, sehr hell. »Was halten Sie von meiner Bibliothek?«
    »Es scheint eine bemerkenswerte Sammlung zu sein, eine Schatzkammer«, sagte ich.
    Ein Anflug von Freude huschte über sein Furcht erregendes Gesicht. »Sie haben Recht«, sagte er sanft. »Diese Bibliothek ist die erlesenste ihrer Art auf dieser Welt. Sie ist das Ergebnis jahrhundertelanger sorgfältiger Auswahl. Sie werden viel Zeit haben, die Wunder zu erforschen, die ich hier gesammelt habe. Aber jetzt will ich Ihnen etwas anderes zeigen.«
    Er führte mich zu einer Wand, der wir uns bis jetzt noch nicht genähert hatten, und dort stand eine sehr alte Druckerpresse, so wie man sie in den Illustrationen des späten Mittelalters findet, ein schweres Gerät aus schwarzem Metall und dunklem Holz mit einer großen Schraube oben. Die runde Platte war aus Obsidian, Druckerfarbe glänzte auf ihr und spiegelte unser Licht wie ein dämonischer Spiegel. Ein Blatt dickes Papier lag auf der Ablage der Presse. Ich beugte mich näher heran und sah, dass es zum Teil bedruckt war, ein ausgesonderter Versuch, und zwar auf Englisch. »Der Geist in der Amphore«, lautete der Titel. »Vampire in der griechischen bis zur modernen Tragödie.« Und darunter: »Bartholomew Rossi«.
    Dracula musste auf mein erstauntes Nach-Luft-Schnappen gewartet haben, und ich enttäuschte ihn nicht. »Sehen Sie, ich hin auf dem neuesten Stand – state of the art, wie man so sagt. Wenn ich ein veröffentlichtes Buch nicht bekommen kann oder es sofort haben will, drucke ich es manchmal selbst. Aber hier ist etwas, das Sie sicher ebenso sehr interessieren wird.« Er deutete auf einen Tisch hinter der Druckerpresse. Darauf lagen etliche Holzschnitte. Der größte von ihnen war zur besseren Ansicht aufgestellt und zeigte den Drachen aus unseren Büchern, meinem und Pauls, natürlich spiegelverkehrt. Es fiel mir schwer, ruhig zu bleiben. »Sie sind überrascht«, sagte Dracula und hielt seine Kerze nahe an den Drachen. Seine Umrisse waren mir so vertraut, dass ich ihn mit eigenen Händen hätte ins Holz schneiden können. »Sie kennen das Bild sehr gut, denke ich.«
    »Ja«, sagte ich und hielt mich an meiner Kerze fest. »Haben Sie die Bücher selbst gedruckt? Wie viele gibt es davon?«
    »Meine Mönche haben einige von ihnen gedruckt, und ich habe ihre Arbeit fortgesetzt«, sagte er mit ruhiger Stimme und betrachtete den Holzschnitt. »Fast habe ich mein Ziel, vierzehnhundertdreiundfünfzig von ihnen zu drucken, erreicht, langsam, damit mir Zeit bleibt, sie sorgfältig zu verteilen. Hat die Zahl irgendeine Bedeutung für Sie?«
    »Ja«, sagte ich nach kurzer Pause. »In dem Jahr ist Konstantinopel gefallen. «
    »Ich habe mir gedacht, dass Ihnen das auffallen würde«, sagte er mit seinem bitteren Lächeln. »Es ist das schlimmste Datum der

Weitere Kostenlose Bücher