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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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für eine Weile, und ich hatte Angst, weitere Fragen zu stellen. Endlich schien er sich wieder aufzuraffen und schlug mit seiner großen Hand auf die Armlehne seines Stuhls. »Das war der Anfang meiner Bibliothek.«
    Ich sah zu ihm hinüber, und meine Neugier war zu groß, um noch weiter zu schweigen, wenn es mich auch Überwindung kostete, die Frage zu stellen. ›Und nach Ihrem… Tod haben Sie weiter diese Bücher gesammelt?‹
    »Oh ja.« Er wandte sich mir jetzt ganz zu, vielleicht, weil ich ihm diese Frage aus eigenem Antrieb gestellt hatte, und er lächelte grimmig. Es fiel mir schwer, im Schein des Feuers dem Blick unter den schweren Lidern zu begegnen. »Ich habe es Ihnen gesagt, im Herzen bin ich sowohl ein Gelehrter als auch ein Krieger, und diese Bücher haben mir durch lange Jahre Gesellschaft geleistet. Man kann viel Praktisches aus Büchern lernen, Staatskunst zum Beispiel, oder Strategie und Taktik großer Heeresführer. Ich habe viele Arten Bücher. Sie werden sehen.«
    »Und was soll ich für Ihre Bibliothek tun?«
    » Wie ich es gesagt habe: alles katalogisieren. Ich habe nie eine Bestandsaufnahme gemacht, woher die einzelnen Bücher stammen, in welchem Zustand sie sind. Das wird Ihre erste Aufgabe sein, und Sie werden sie schneller und besser bewältigen, als es sonst jemand könnte, schließlich sprechen Sie viele Sprachen und sind umfassend gebildet. Sie werden dabei den schönsten Büchern begegnen – und den besten, wichtigsten –, die je geschrieben und gedruckt wurden. Viele gibt es nur noch in meiner Bibliothek. Vielleicht wissen Sie, Professor, dass nur noch ungefähr ein Hundertstel der Literatur existiert, die je produziert wurde? Ich habe mir selbst die Aufgabe gestellt, diesen Prozentsatz über die Jahrhunderte hin zu erhöhen. « Während er sprach, fiel mir erneut die besondere Klarheit und Kälte seiner Stimme auf; und das Rasseln tief in ihr – wie das Rasseln einer Schlange, oder kaltes Wasser, das über Felsen rinnt.
    »Ihre zweite Aufgabe wird eine weit größere sein. Ja, sie wird ewig dauern. Wenn Sie meine Bibliothek und ihre Zielsetzung so gut kennen wie ich, werden Sie unter meinem Kommando hinaus in die Welt reisen und nach Neuerscheinungen suchen, und natürlich auch nach älteren Titeln, denn ich werde nie aufhören, Werke aus der Vergangenheit zu sammeln. Ich werde Ihnen viele Archivare unterstellen, die besten, und Sie werden noch mehr in unsere Gewalt bringen.«
    Die Ausmaße seiner Vision und ihre volle Bedeutung, wenn ich denn alles richtig verstand, trieben mir den kalten Schweiß auf die Stirn. Doch ich fand meine Stimme wieder und sagte stockend: »Warum wollen Sie nicht seihst damit fortfahren?«
    Er lächelte ins Feuer, und wieder sah ich wie in einem Schlaglicht ein anderes Gesicht, sah den Hund, den Wolf »Ich werde mich um andere Dinge kümmern müssen. Die Welt verändert sich, und ich habe vor, mich mit ihr zu verändern. Vielleicht brauche ich bald schon diese Form nicht mehr« – er deutete mit bedächtiger Hand auf seinen mittelalterlichen Aufzug, die große, tote Kraft seiner Gliedmaßen –, »um meine Ziele zu verwirklichen. Aber die Bibliothek ist wertvoll für mich, und ich möchte sie wachsen sehen. Im Übrigen habe ich manchmal das Gefühl, dass dieses Versteck nicht mehr sicher ist. Verschiedene Historiker waren nahe daran, mich zu finden, und auch Sie hätten mich gefunden, wenn ich Sie nur lange genug hätte suchen lassen. Aber jetzt brauche ich Sie hier. Ich spüre, wie sich eine Gefahr nähert, und die Sammlung muss katalogisiert werden, bevor wir sie verlegen. «
    Es half mir, so zu tun, als träumte ich. »Wohin werden Sie die Bibliothek verlegen?« Und damit auch mich?, hätte ich noch hinzufügen können.
    »An einen sehr alten Ort, noch älter als diesen, der viele gute Erinnerungen für mich birgt. Einen entlegenen Ort, der aber dennoch näher bei den großen Städten liegt, wo ich leicht kommen und gehen kann. Dort werden wir die Bibliothek unterbringen, und Sie werden sie vergrößern.« Er sah mich mit einer Art von Zutrauen an, die auf einem menschlichen Gesicht Zuneigung hätte bedeuten können. Schließlich stand er auf seine kräftige, merkwürdige Art auf. »Wir haben genug gesprochen für heute Nacht. Ich sehe, Sie sind müde. Lassen Sie uns die verbleibenden Stunden nutzen, um ein wenig zu lesen, wie ich es normalerweise tue, und dann muss ich noch einmal weg. Wenn der Morgen kommt, nehmen Sie das Papier und die Stifte,

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