Der Historiker
Shakespeare, die Historien, in Quartformat, neben Thomas von Aquin. Ich sah dicke Bücher über Alchemie aus dem sechzehnten Jahrhundert neben einem ganzen Schrank voller illuminierter arabischer Schriftrollen – osmanisch, nehme ich an. Es gibt puritanische Predigten über Hexerei, kleine Gedichtbände aus dem neunzehnten Jahrhundert und ausführliche philosophische und kriminologische Abhandlungen aus unserem eigenen Jahrhundert. Nein, es gibt keine zeitliche Ordnung, aber ich erkannte ein anderes System.
Die Bücher so zu ordnen, wie sie in der historischen Sammlung einer normalen Bibliothek gestanden hätten, würde Wochen oder Monate dauern, und da Dracula sie bereits für geordnet hält, entsprechend seinen eigenen Interessen, werde ich sie lassen, wo sie sind und lediglich die einzelnen Teile der Sammlung unterscheiden. Der erste Teil beginnt meines Erachtens an der Wand gleich neben der unbeweglichen Tür und umfasst drei Schränke und zwei große Tische: »Staatskunst und Militärstrategie« werde ich ihn vielleicht nennen.
Hier fand ich mehr Machiavelli, in erlesenen Bänden aus Padua und Florenz. Ich fand eine Biografie Hannibals aus dem achtzehnten Jahrhundert von einem Engländer und eine sich wellende griechische Handschrift, die möglicherweise aus der Bibliothek von Alexandria stammte: Herodot und die athenischen Kriege. Es tröstete mich wieder, als ich Buch nach Buch und Manuskript nach Manuskript durchging, jedes erstaunlicher als das, das ich gerade zur Seite gelegt hatte. Es gibt eine eselsohrige Erstausgabe von Mein Kampf und ein Tagebuch in französischer Sprache – handgeschrieben und hier und da mit braunen Schimmelflecken gesprenkelt – , das dem Erscheinungsdatum, kurz nach der Revolution, und den Berichten nach die Schreckensherrschaft aus der Sicht eines Regierungsmitglieds zu sein scheint, dessen Namen ich noch nie gehört hatte. Ich werde es mir später genauer ansehen müssen – der Tagebuchschreiber scheint sich nirgends zu erkennen gegeben zu haben. Ich fand einen großen Band über Napoleons Taktik auf seinen ersten Feldzügen, das meiner Rechnung nach während seines Elbaexils gedruckt worden sein muss. In einem Kasten auf einem der Tische liegt ein vergilbtes Typoskript in kyrillischer Schrift; mein Russisch ist äußerst begrenzt, aber die Überschriften sagen mir, dass es sich um ein internes Memo Stalins an jemanden in der Führung der sowjetischen Armee handelt. Ich konnte wirklich nicht viel davon entschlüsseln, aber es enthält eine lange Liste russischer und polnischer Namen.
Dies waren ein paar der Schriftstücke, die mir etwas sagen, darüber hinaus gibt es viele Bücher und Manuskripte, deren Schriftsteller oder Themen völlig neu für mich sind. Ich hatte gerade mit einer grob nach Jahrhunderten geordneten Liste der Dinge begonnen, die ich zuordnen konnte, als ich eine Kälte spürte wie von einem Luftzug, obwohl es keinen gab, und ich sah auf und fand die merkwürdige Gestalt drei Meter entfernt hinter einem der Tische stehen.
Er trug seinen roten und purpurnen Staat, mit dem ich ihn im Sarkophag liegen sehen hatte, und er schien mir noch größer und massiger als in der Nacht zuvor. Ich wartete, ob er mich gleich angreifen würde – erinnerte er sich an meinen Versuch, ihm seinen Dolch zu entreißen? Aber er beugte den Kopf nur leicht, als grüßte er mich. »Ich sehe, Sie haben mit Ihrer Arbeit begonnen. Zweifellos werden Sie Fragen an mich haben. Aber lassen Sie uns erst unser Frühstück einnehmen, dann reden wir über meine Sammlung. « Ich sah etwas durch die Düsternis des Saales blitzen, vielleicht waren es seine Augen. Mit seinem nicht menschlichen, aber königlichen Schritt ging er mir voran zum Kamin hinüber, wo ich eine warme Mahlzeit vorfand, darunter einen dampfenden Tee, der meinen durchgefrorenen Knochen etwas Wärme verschaffte. Dracula saß, den Blick in das rauchlose Feuer gerichtet, hoch aufgerichtet. Ohne es zu wollen, musste ich an die Enthauptung seines Leichnams denken – in dem Punkt stimmen alle Berichte über seinen Tod überein. Wie konnte der Kopf wieder so fest auf seinem Körper sitzen? Oder war das alles nur eine Illusion? Der Kragen seines edlen Rocks reichte ihm bis unter das Kinn, und seine dunklen Locken fielen bis auf die Schultern.
»Und jetzt«, sagte er, »lassen Sie uns einen kleinen Rundgang machen.« Er entzündete wieder alle Kerzen, und ich folgte ihm von Tisch zu Tisch, während er die Laternen darauf
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