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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Kräften der Natur entgegen – in diesem Fall der Unnatur –, aber ich schwöre Ihnen, dass mich diese Tat über allen Schrecken hinaus in Zorn versetzt hatte, für eine Weile zumindest, und ich gelobte, auch noch die letzten Hinweise aufzuspüren und, so meine Kräfte dazu ausreichten, meinen Verfolger bis in seine Höhle zu verfolgen. Dieser bizarre Gedanke wurde mir ebenso vertraut wie der Wunsch, einen weiteren Aufsatz zu veröffentlichen und mir eine feste Anstellung an der mir so wohl gesinnten neuen Universität zu verdienen.
    Nachdem ich mich in den akademischen Alltag eingewöhnt hatte und mich auf eine kurze Rückkehr nach England am Ende des Semesters einrichtete, um meine Eltern zu besuchen und das Manuskript meiner Doktorarbeit dem so netten Londoner Verlag zu überbringen, der sich bereits immer intensiver um mich kümmerte, nahm ich ein weiteres Mal die Witterung Vlad Draculas auf, der historischen oder übernatürlichen Figur, als was immer er sich erweisen mochte. Mir schien, dass meine nächste Aufgabe darin bestand, mehr über mein merkwürdiges altes Buch herauszufinden: Woher es stammte, wer es gestaltet hatte, wie alt es war. Dazu überließ ich es (widerstrebend, wie ich zugeben muss) dem Labor des Smithsonian. Dort schüttelte man den Kopf über die Genauigkeit meiner Fragen und machte Bemerkungen, dass die Konsultation von Kräften, die über den ihren lägen, mich mehr kosten würde. Aber ich war stur und der Meinung, dass auch nicht ein Penny meiner Erbschaft von meinem Großvater in Kleider, Essen oder gar Unterhaltung fließen durfte, solange Hedges noch ungerächt (aber, Gott sei Dank, friedlich) auf einem Friedhof lag, der seinen Sarg für weitere fünfzig Jahre nicht hätte sehen sollen. Ich fürchtete mich nicht länger vor den Konsequenzen, da mir das Schlimmste, was ich mir vorstellen konnte, bereits widerfahren war. In diesem Sinne zumindest hatten sich die Mächte der Finsternis verkalkuliert.
    Aber es war nicht die Brutalität dessen, was als Nächstes passierte, das mich meine Meinung ändern ließ und mir erneut die volle Bedeutung des Wortes »Furcht« vor Augen führte. Es war seine Intelligenz.
    Im Smithsonian kümmerte sich eine bibliophile kleine Person um mein Buch. Der Mann hieß Howard Martin, war ein freundlicher, wenn auch sehr schweigsamer Mensch, und er nahm sich meiner Sache an, als würde er meine ganze Geschichte kennen. (Nein – wenn ich darüber nachdenke, hätte er mich in dem Fall wohl gleich wieder zur Tür hinausgeschickt.) Aber offenbar sah er nur meine Leidenschaft für die Historie, fühlte ähnlich und tat sein Bestes. Er war sehr gut, sehr gründlich, und was er aus den Labors erfuhr, fügte er mit einer Sorgfalt zusammen, die besser zu Oxford gepasst hätte als zu jenem ziemlich bürokratischen Museumsbüro in Washington. Ich war beeindruckt, und noch mehr beeindruckte mich sein Wissen über die europäische Buchherstellung um und nach Gutenberg.
    Als er offenbar alles getan hatte, was er für mich tun konnte, schrieb er mir, dass ich die Ergebnisse bekommen könne, sie lägen ihm vor, und dass er mir das Buch am liebsten persönlich zurückgeben würde, so wie ich es ihm überreicht hätte, falls ich nicht wünschte, dass er es per Post nach Norden schicke. Ich unternahm die Zugreise hinunter nach Washington, machte morgens ein paar Besichtigungen und stand zehn Minuten vor der ausgemachten Zeit vor seiner Bürotür. Mein Herz klopfte und mein Mund war wie ausgetrocknet. Es verlangte mich, mein Buch wieder in Händen zu halten und zu hören, was er über seine Herkunft herausgefunden hatte.
    Mr Martin öffnete mir die Tür und bat mich mit einem kleinen Lächeln zu sich herein. »Ich freue mich, dass Sie es einrichten konnten«, sagte er mit dem flachen, nasalen amerikanischen Tonfall, der für mich zur offensten Sprache der Welt geworden ist.
    Als wir uns in sein mit Manuskripten gefülltes Büro setzten und ich ihn genauer ansah, erschreckte mich der Wandel in seiner Erscheinung. Ich erinnerte mich sehr gut an sein Gesicht, und nichts in seiner ordentlichen, professionellen Korrespondenz mit mir hatte auf eine Krankheit hingedeutet. Jetzt aber sah er abgespannt und blass aus und auf eine Weise verhärmt, dass seine Haut graugelb geworden war. Seine Lippen wirkten unnatürlich rot, und er hatte einiges an Gewicht verloren, so dass ihm sein altmodischer Anzug schlaff von den mageren Schultern hing. Er saß leicht vorgebeugt, als mache es ihm ein

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