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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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jedes Steinchen Wissen über diese Schrecknisse gegeben, das ich besitze. Jetzt, da Sie meine Geschichte kennen, können Sie mir da Ihre Hilfe verweigern?
    Der Ihre in tiefstem Kummer, Bartholomew Rossi
     
    Die Schatten zwischen den Bäumen hatten gähnende Formen angenommen, und mein Vater trat mit seinen guten Schuhen nach einer Kastanienschale. Wäre er ein gröberer Mann gewesen, so spürte ich plötzlich, hätte er jetzt ausgespuckt, um den schrecklichen Geschmack loszuwerden. Stattdessen schien er kräftig zu schlucken und sich zu einem Lächeln zu entschließen. »Gott! Wovon haben wir gesprochen? Wie düster wir heute Nachmittag doch sind.« Wieder versuchte er zu lächeln, doch er warf mir dabei einen Blick zu, der von Sorge sprach, als könnte sich ein Schatten über mich senken, mich ganz speziell, und mich ohne Warnung mit sich fortnehmen.
    Ich löste meine kalte Hand von der Kante der Bank und bemühte mich ebenfalls, fröhlicher Stimmung zu sein. Seit wann musste ich mich dabei anstrengen? Das fragte ich mich, aber es war zu spät. Ich hatte bereits seine Rolle übernommen und lenkte ihn ab, so wie er mich einmal abgelenkt hatte. Dabei flüchtete ich mich in eine kleine Laune – nicht zu sehr, oder er würde Verdacht schöpfen. »Ich muss sagen, ich bin schon wieder hungrig, aber jetzt brauche ich etwas Richtiges.«
    Da lächelte er ein wenig natürlicher, und seine guten Schuhe klopften auf den Boden, als er mir galant die Hand reichte, um mir beim Aufstehen zu helfen, und sich dann daranmachte, die Naranca-Flaschen und übrigen Überbleibsel unseres Picknicks in sein Netz zu packen. Ich sammelte meinen Teil zusammen und fühlte mich erleichtert, denn das bedeutete, dass er mit mir zurück in die Stadt spazieren würde, statt hier noch länger mit Blick auf die Fassade der Burg zu verweilen. Ich hatte mich gegen Ende seiner Erzählung einmal umgedreht und im Fenster oben eine dunkle, stattliche Gestalt gesehen, die an die Stelle der putzenden alten Frau getreten war. Schnell fing ich über alles Mögliche an zu reden, das mir in den Kopf kam. Solange mein Vater ihn nicht sah, würde es zu keiner Konfrontation kommen. Und vielleicht waren wir dann beide sicher.

 
    14
     
     
     
    Ich hatte mich eine Weile von der Universitätsbibliothek fern gehalten. Zum einen machten mich meine Nachforschungen dort seltsam nervös, und zum anderen spürte ich, dass Mrs Clay argwöhnisch wurde, was meine Ausflüge nach der Schule betraf. Ich hatte sie jedes Mal wie versprochen angerufen, aber etwas zunehmend Scheues in ihrer Stimme am Telefon sagte mir, dass sie unangenehme Diskussionen mit meinem Vater darüber hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie genug über die Unarten Jugendlicher wusste, um irgendetwas Spezielles anzunehmen, aber mein Vater mochte seine eigenen Vorschläge haben. Marihuana? Jungen? Und er sah mich manchmal sowieso schon so ängstlich an, dass ich ihn nicht weiter beunruhigen wollte.
    Am Ende war die Versuchung aber doch zu groß, und ich entschloss mich, trotz aller Bedenken wieder in die Bibliothek zu gehen. Dieses Mal gab ich vor, abends mit einem langweiligen Mädchen aus meiner Klasse ins Kino zu wollen. Ich wusste, dass Johan Binnerts mittwochabends in der Abteilung für mittelalterliche Texte arbeitete, und mein Vater hatte eine Besprechung im Zentrum. Ich war in meinem neuen Mantel bereits aus der Tür, bevor Mrs Clay groß etwas sagen konnte.
    Es war ein komisches Gefühl, abends noch in die Bibliothek zu gehen, besonders da die Haupthalle gut besucht war, wie immer mit müde dreinblickenden Studenten. Der Mittelalter-Lesesaal war jedoch leer. Ich trat leise an Mijnher Binnerts Tisch, wo ich ihn einen Stapel neuer Bücher durchgehen sah – nichts, das mich interessieren würde, meinte er mit seinem netten Lächeln, da ich nur schreckliche Dinge mochte. Aber er hatte einen Band für mich zur Seite gelegt. Warum war ich nicht früher gekommen? Ich entschuldigte mich halbherzig, und er lachte. »Ich hatte schon gefürchtet, dir sei etwas zugestoßen oder du hättest meinen Rat beherzigt und dich einem Thema zugewandt, das eher zu einer jungen Dame passt. Aber du hast auch mein Interesse geweckt, also habe ich das hier für dich herausgesucht.«
    Ich nahm das Buch dankbar entgegen, und Mijnher Binnerts sagte, er wolle in seinen Arbeitsraum hinüber, komme aber bald wieder, um zu sehen, ob ich noch etwas bräuchte. Er hatte mir seinen Arbeitsplatz einmal gezeigt, einen kleinen

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