Der Hochzeitsvertrag
privat und als Person des öffentlichen Lebens, ein untadeliges, erfülltes Leben zu führen.
Aber war es ehrenhaft, Dierdre zu heiraten? Er empfand doch überhaupt nichts für sie. Ja, er war ihr in keiner Weise zugetan, bewunderte sie nicht einmal wegen irgendeiner Eigenschaft. Auch wenn er die viel besungene Liebe für eine Erfindung der Dichter und nicht etwa für eine Himmelsmacht hielt – Begierde oder auch das Gefühl, jemand beschützen zu müssen, waren starke Emotionen. Unglücklicherweise empfand er nichts von alledem für Dierdre Worthing: Sie war ihm völlig gleichgültig.
Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, wie sie ausgesehen hatte, obwohl er Emilys Gesicht nie hatte vergessen können. Ein unschuldiges Gesicht mit einem vertrauensvollen Ausdruck, das sich ihm zum Kuss zugewandt hatte, einem Kuss, der sein und Emilys Leben verändert hatte, sobald sein Vater davon erfahren hatte. Gut möglich, dachte Nicholas, dass ich für Emily immer noch etwas empfinde. Aber für Dierdre?
"Nein", murmelte er, schüttelte den Kopf und ließ den Blick zur Schublade des Schreibtischs gleiten, in dem jener ungültige Vertrag lag. "Ich kann Dierdre nicht heiraten!"
Aber bezüglich des Verlobungskontrakts musste er etwas unternehmen, denn der beunruhigte ihn zunehmend. Er musste die Angelegenheit so bald wie möglich mit Worthing klären.
Noch wichtiger für seinen Seelenfrieden, das wusste Nicholas, war, dass Emily ihm vergab. In seinem jugendlichen Ungestüm hatte er ihr unwissentlich so viel Kummer bereitet. Würde sie ihm verzeihen, wenn er ihr nochmals erklärte, warum er ihr so lange Jahre ferngeblieben war? Dem, was er ihr wiederholt aus Indien geschrieben hatte, hatte sie offenbar keinen Glauben geschenkt.
Die Tür wurde geöffnet. Wrecker stand auf der Türschwelle und meinte grinsend: "Hat Feuer, die Kleine, was?"
"Hüte deine Zunge, Mann", warnte Nicholas ihn.
"Entschuldigung, Mylord." Der Seemann lächelte so breit, dass alle Zahnlücken zu sehen waren. "Wissen Sie, dass sie wieder zu dem Jungen reingehen wollte?" Mit dem Daumen deutete er auf seine breite Brust. "Ich hab sie aufgehalten. Da ist sie die Treppe hochgerannt, war wie verrückt, das Weib. Einen Blick hat sie gehabt, sag ich Ihnen …" Er schnalzte mit der Zunge.
Nicholas erhob sich. "Ich werde mich mal lieber um sie kümmern."
Der Seemann nickte "Na klar, Mylord. Das würde ich auch, wenn ich Sie wäre!"
Dem Mann war offensichtlich klar, dass Emily für ihn und den Rest der Besatzung unantastbar war. Zudem dachte er anscheinend, Nicholas wolle Emilys missliche Lage – sie war allein und ohne Anstandsperson im Herrenhaus – zu seinem Vorteil nutzen.
"Die Dame bleibt als mein Gast hier, während wir hier in Quarantäne sind", betonte Nicholas. "Sie ist die Tochter des hiesigen Pfarrers, Wrecker, Joshuas Schwester! Und sie ist eine alte Freundin der Familie. Anzügliche Bemerkungen und Beleidigungen, ob direkt oder hinter ihrem Rücken, werde ich persönlich ahnden. Und zwar streng. Ist das klar?"
Wrecker zuckte die Schultern, immer noch grinsend: "Gewiss, Mylord, ich versteh Sie schon. Tun wir alle."
Es hatte keinen Zweck. Zwar konnte Nicholas seinen Männern verbieten, respektlos über seinen Gast zu reden, aber denken würden sie von Emily trotzdem, was sie wollten. Arme Emily! Und trotz des Schadens, den ihr Ruf auch in Bournesea mit Sicherheit nehmen würde, blieb ihm nichts anderes übrig, als sie hier zu behalten. Wenn er sie gehen ließe und sie dann in ein paar Tagen erkrankte, würde sich die Cholera rasch ausbreiten.
Nicholas schwor sich, dass er Emily nur jetzt, nur dieses eine Mal, allein auf ihrem Zimmer aufsuchen würde. Er wollte ihr klar machen, in welche Gefahr sie sich begab, wenn sie zu Joshua ging, bevor er ganz geheilt war.
Und danach würde er ihr auf Bournesea Manor aus dem Weg gehen. Je seltener er Emily sah, desto weniger regte er die Fantasie seiner Leute an und desto weniger würde man über sie klatschen.
Stimmte das wirklich? Nein, gestand er sich resigniert ein. Es würde die übelsten Gerüchte geben.
Emily legte bebend vor Empörung ihren Umhang ab und versuchte, die Fassung wiederzugewinnen. Sie löste die Bänder ihrer Capote, nahm sie vom Kopf und sah sich im Schlafzimmer der verstorbenen Countess of Kendale um, in dem die Zeit stillgestanden zu sein schien.
Schon früher war Emily oft hier gewesen, und es hatte sich nicht viel verändert. Die rosafarbenen Vorhänge des Himmelbetts
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